Kommt das dicke Brexit-Ende noch?

Britische Wirtschaft bekommt Folgen des Beschlusses bisher kaum zu spüren

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Bislang hat die Brexit-Abstimmung vom Juni nicht zum großen Absturz der britischen Wirtschaft geführt, der von verschiedenen Seiten prognostiziert wurde. So hatte Ex-Finanzminister George Osborne vor einer »selbst gemachten Rezession« gewarnt, die Bank of England steigende Inflation sowie Arbeitslosigkeit vorausgesagt und der Internationale Währungsfonds hielt es für unvermeidlich, dass ein Votum für den EU-Ausstieg sinkende Einkommen für alle Briten nach sich ziehen würde. Knapp drei Monate später scheint es, als seien diese düsteren Prognosen stark übertrieben gewesen.

Verschiedene Indikatoren weisen darauf hin, dass die britische Wirtschaft bislang relativ gut abgeschnitten hat. Die verarbeitende Industrie zeigte zwar unmittelbar nach der Abstimmung Anzeichen von Schwäche, aber laut Daten des Londoner Forschungsinstitut IHS Markit hat sich der Sektor seither erholt: Die Aktivitäten der britischen Fabriken lagen im August auf dem höchsten Stand seit zehn Monaten. Auch die Dienstleistungsbranche schnitt besser ab als im Juli, und der Einzelhandel verzeichnete ein Wachstum von 1,4 Prozent.

Dennoch wäre es verfrüht, Entwarnung zu geben. Einerseits ist der Schock durch entschlossene Schritte der Notenbank abgeschwächt worden: Die Bank of England kündigte Anfang August ein umfassendes Konjunkturpaket an und senkte den Leitzins auf 0,25 Prozent. Wie lange diese Maßnahmen die Zuversicht im Industrie- und Dienstleistungssektor stützen können, ist jedoch ungewiss.

Andererseits führt die Schwäche des Pfundes, die bisher die Exportindustrie stützt, zunehmend zu Schwie-rigkeiten für die verarbeitende Industrie: Laut der Statistikbehörde ist der Preis von Importgütern im August um 7,6 Prozent angestiegen. Dies ist zwar bislang noch nicht an die Verbraucher weitergegeben worden, aber der Gewerkschaftsdachverband TUC warnt in einem kürzlich veröffentlichten Bericht davor, dass dies in Zukunft die britischen Reallöhne unter Druck setzen könnte.

Der TUC verweist auch darauf, dass es heute schlichtweg zu früh ist, um die Konsequenzen des Brexit-Votums abzuschätzen - die Folgen würden erst dann eintreten, wenn Großbritannien die EU tatsächlich verlässt. Zudem berge die Unsicherheit in der Zeit, bevor die britische Regierung das offizielle Austrittsgesuch stellt, ein großes Risiko für die Wirtschaft. Um dieses abzuschwächen, fordern die Gewerkschaften von der Regierung Investitionen in die Infrastruktur. Damit sollte die Produktivität gesteigert und den Unternehmen die nötige Zuversicht gegeben werden, weiterhin zu investieren und Leute einzustellen.

Eine Umfrage der Arbeitsvermittlungsagentur Manpower UK unter 2100 Unternehmenschefs über deren Einstellungspläne bestätigt die Sorgen des TUC: In sechs von neun Branchen sind die Arbeitgeber diesbezüglich weniger zuversichtlich als vor dem Brexit-Votum. Das Fazit von Manpower-Chef Mark Cahill: »Nach dem anfänglichen Schock betreten wir eine neue Phase der anhaltenden ökonomischen Unsicherheit.«

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