Russland wählte wie Putin

Präsident kann Votum als Mandat für eine weitere Amtszeit ab 2018 verstehen / Liberale schwächten sich selbst

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 4 Min.

Wladimir Putin dürfte das Abschneiden seiner Hausmacht als klares Mandat für eine eigene erneute Kandidatur bei den Präsidentenwahlen 2018 interpretieren. Als Montagmittag knapp 94 Prozent aller abgegeben Stimmen ausgezählt waren, gingen 343 der 450 Mandate in der Staatsduma, dem Unterhaus des Parlaments, an Einiges Russland. Zweiter Sieger wurde die KPRF, die Kommunistische Partei der Russischen Föderation, mit 42 Sitzen knapp vor den nationalistischen Liberaldemokraten von Wladimir Schirinowski mit 39 Mandaten. Die Mitte-Links-Partei Gerechtes Russland zieht mit 23 Abgeordneten in die Duma ein.

Trotz einer gewissen Nachfrage scheiterte die zersplitterte liberale Opposition erneut an der Fünf-Prozent-Sperrklausel. Zusammen sammelten die vier Gruppierungen deutlich über sechs Prozent ein - eigentlich genug für eine Fraktion mit allen sich daraus ergebenden Annehmlichkeiten: Gestaltungskompetenz durch Tätigkeit in den Ausschüssen, wo die Gesetzentwürfe geschrieben werden, Personal, Räumlichkeiten. Vor allem aber Medienpräsenz. Überregionale TV-Sender die terrestrisch im ganzen Land empfangen werden können, sind verpflichtet, permanent über alle in der Duma vertretenen Parteien zu berichten. Doch so verfehlten die hoffnungslos zerstrittenen Liberalen sogar die Drei-Prozent-Hürde für die staatliche Parteienfinanzierung.

Namentlich die sozialliberale Jabloko-Partei, ein Urgestein der politischen Landschaft im postkommunistischen Russland und bis 2003 mit einer Fraktion von zeitweilig mehr als 50 Abgeordneten im Parlament vertreten, fuhr mit 1,75 Prozent ihr bisher schlechtestes Ergebnis aller Zeiten ein.

Sehenden Auges spielten Jabloko und Co. mit ihren Rivalitäten der Kremlpartei in die Hände. Die Stimmen für gescheiterte Parteien werden auf die vier verteilt, die es geschafft haben. Proportional zu deren eigenem Ergebnis. Davon profitiert vor allem als Sieger die Kremlpartei. Sie holte über Listen mit rund 54 Prozent zwar nur eine knappe absolute Mehrheit. Sie ist jedoch, weil sie die meisten der 225 Direktmandate holte, erneut im Besitz der 2011 verlorenen Zweidrittelmehrheit, wie sie für Verfassungsänderungen nötig ist. ER kann sie notfalls gegen eine Opposition durchdrücken, die nur noch Alibi-Funktion hat.

Mitschuldig sind die Liberalen auch an der geringen Wahlbeteiligung von knapp 48 Prozent, die traditionell ebenfalls den Siegern in die Hände spielt. Nur Entrückte versuchen in Krisenzeiten, in denen Armut sogar die Mitte der Gesellschaft erreicht, mit abstrakten Forderungen nach mehr Demokratie und Menschenrechten zu punkten.

Auch haben es die Liberalen diesmal deutlich schwerer, das eigene Versagen mit Manipulationen zu erklären. Zwar konnte auch Ella Pamfilowa - Putins eigens dazu auf den Chefsessel der Zentralen Wahlkommission gehievte Menschenrechtsbeauftragte - keine hundertprozentig saubere Abstimmung liefern, doch größere Unstimmigkeiten gab es ihren Worten nach nicht. Internationale Beobachter sahen das ähnlich und sprachen von deutlichen Fortschritten.

Fälschungsvorwürfe hatten 2011 in großen Städten zu den machtvollsten Protesten seit der Perestroika geführt und Kreml und Regierung zu politischer Teilliberalisierung gedrängt. Erstmals seit 2007 wurde am Sonntag die Hälfte der Sitze erneut über Direktmandate vergeben. Das sollte kleinen Parteien den Weg in die Duma erleichtern. Auch diese Chance haben die Liberalen - der harte Kern der Protestbewegung - vertan. Trotz oder womöglich wegen Unterstützung durch die Stiftung »Offenes Russland« des kremlkritischen Oligarchen Michail Chodorkowski, mit dem Mehrheit der Russen nichts am Hut hat.

Sein Gegenspieler Putin werde, so der Tenor von Beobachtern, zur Präsidentenwahl 2018 mit unverbrauchtem und der Korruption unverdächtigem Personal ins Rennen gehen. Solches wie der kürzlich neu ernannte Chef der Kremladministration Anton Wajno. Dass die Tage der Petersburger Landsmannschaft, mit der Putin 2000 die Schaltstellen der Macht besetzte, gezählt sind, machten Umbesetzungen im Sommer klar. Putin sei der Freunde aus gemeinsamen KGB-Tagen, die mit ihm auf Duzfuß stehen, überdrüssig und setze auf Beamte und Technokraten, die Abstand zum Herrscher wahren und vor allem keine eigenen politischen Ambitionen haben. Die werden einigen der kürzlich Geschassten nachgesagt. Minimiert wird die Gefahr von Palastintrigen, mit neuer Mannschaft lässt sich auch ein neues Programm besser verkaufen: Wirtschaftsreformen, mehr Kompetenzen für die Regionen und vor allem für das Parlament. Bei den neuen Mehrheitsverhältnissen geht Putin damit auch keinerlei Risiken ein.

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