Verwertbarkeit statt Selbstbestimmung

Paritätischer Wohlfahrtsverband und Sozialverband SoVD üben scharfe Kritik am geplanten Bundesteilhabegesetz

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Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat anlässlich der anstehenden Beratungen zum Bundesteilhabegesetz (BTHG) und Pflegestärkungsgesetz III (PSG) in Bundestag und Bundesrat vor Leistungskürzungen und Verschlechterungen für viele Menschen mit Behinderung gewarnt. Das geplante Teilhabegesetz ziele in erster Linie auf Kostensenkung und entspreche nicht der UN-Behindertenrechtskonvention, kritisiert der Paritätische. Unter dem Motto »Das Bundesteilhabegesetz - SO NICHT!« finden am Donnerstag bundesweit Protestaktionen statt.

»Geplante Verbesserungen zielen fast ausschließlich auf die Teilhabe am Erwerbsleben und kommen damit auch nur erwerbstätigen Menschen mit Behinderung zu Gute. Gerade für Menschen mit besonders hohem Unterstützungsbedarf drohen dagegen echte Verschlechterungen. Wer noch erwerbstätig sein kann, wird gefördert, viele andere drohen künftig von Teilhabeleistungen ausgeschlossen und in die Pflege verschoben zu werden«, kritisiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. »Kosteneinsparungen und die Verwertbarkeit von Arbeitsleistung stehen im Vordergrund, nicht aber die Selbstbestimmung und Bürgerrechte von Menschen mit Behinderung. Hier soll offenbar in erster Linie ein Kostenbegrenzungsgesetz und weniger ein Inklusionsgesetz im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention auf den Weg gebracht werden.«

Der Paritätische, der über 80 bundesweite Organisationen der Behindertenhilfe und der Gesundheitsselbsthilfe vertritt, fordert eine Überarbeitung des BTHG und PSG. »Wir fordern Teilhabe statt Ausgrenzung, Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung. Wir brauchen ein Bundesteilhabegesetz, das seinen Namen wirklich verdient. Bund und Länder sind in der Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass ein solches Gesetz geschaffen wird«, fordert Schneider.

Auch der Sozialverband SoVD übt scharfe Kritik am Gesetzentwurf. »Das eigentliche Ziel des Bundesteilhabegesetzes ist klar definiert: Die Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen soll verbessert werden. Davon ist der aktuelle Gesetzentwurf jedoch noch sehr weit entfernt«, sagt SoVD-Präsident Adolf Bauer anlässlich der ersten Lesung des Entwurfs im Deutschen Bundestag.

In einem Sieben-Punkte-Plan fordert der Verband umfassende Korrekturen, ehe das Gesetz verabschiedet wird. Neben den Punkten der Selbstbestimmung und Leistungseinschränkung für Menschen mit Behinderungen, kritisiert der SoVD ebenfalls die vorgesehene Regelung der Schnittstelle zwischen Pflege und Eingliederungshilfe, die den Zugang vieler behinderter Menschen zur Eingliederungshilfe erschweren. In dem Papier werden zudem die geplanten Regelungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, zur Einkommens- und Vermögensheranziehung und zur Beteiligung der Behindertenverbände beanstandet.

Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) bezeichnete das geplante Bundesteilhabegesetz für behinderte Menschen dagegen einen möglichen »Quantensprung«. Es gehe im Kern darum, weniger zu behindern und mehr zu ermöglichen, sagte Nahles am Donnerstag in der ersten Lesung im Bundestag zum Bundesteilhabegesetz in Berlin. »Wir gehen den Schritt von der Fürsorge zur Teilhabe.«

Mit Blick auf Sorgen von Verbänden und behinderten Menschen betonte Nahles, niemandem solle es mit dem Gesetz schlechter gehen als heute. Für ihr Vorhaben sollen zusätzlich 700 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung gestellt werden. nd

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