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Palästina-Kongress: Abbruch rechtswidrig

Verein Jüdische Stimme mit Klage erfolgreich

Vor dem Verwaltungsgericht wurde auch der für den Tagungsabbruch verantwortliche Polizei-Einsatzleiter Stephan Katte (l) befragt.
Vor dem Verwaltungsgericht wurde auch der für den Tagungsabbruch verantwortliche Polizei-Einsatzleiter Stephan Katte (l) befragt.

Der Abbruch des Palästina-Kongresses im April 2024 durch die Polizei war rechtswidrig. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden und damit dem klagenden Verein Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost recht gegeben. Aus Sicht der Richter hat die Polizei nicht ausreichend geprüft, ob es ein milderes Mittel als ein Verbot gab. Stattdessen hätte man auch den Ausschluss einzelner Redner oder Teilnehmer prüfen können, erklärte die Vorsitzende Richterin Marlen Mausch-Liotta bei der Urteilsverkündung am Mittwochnachmittag. Schließlich sei nicht gegen Auflagen der Polizei verstoßen worden.

Die Auflösung der Veranstaltung kurz nach Beginn hatte für Proteste gesorgt. Demokratische Rechte seien ausgehebelt worden, kritisierten die Veranstalter. Die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte das harte Durchgreifen der Polizei dagegen gelobt.

Zu dem internationalen Treffen unter dem Motto »Wir klagen an« hatten mehrere Gruppen eingeladen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie das brutale Vorgehen der israelischen Armee gegen die Bevölkerung im Gazastreifen nach den Terrorangriffen von Hamas- und anderen islamistischen Kämpfern auf israelische Zivilisten am 7. Oktober 2023 von Beginn an scharf verurteilten. Einige der Veranstaltenden waren nach Ansicht der Sicherheitsbehörden und der Berliner Innenverwaltung dem »Boykott-Spektrum« zuzurechnen. Gemeint ist die internationale Bewegung »Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen« (BDS). Sie fordert als Mittel des Protests gegen Diskriminierung und Unterdrückung der Palästinenser durch den israelischen Staat einen Stopp jeglicher Zusammenarbeit mit Israelis.

Die Polizei hatte den Kongress, die vom 12. bis 14. April 2024 stattfinden sollte, etwa zwei Stunden nach Beginn aufgelöst und verboten. Hintergrund war eine per Video übertragene Rede des palästinensischen Aktivisten Salman Abu Sitta, für den damals in Deutschland ein politisches Betätigungsverbot galt.

Der verantwortliche Einsatzleiter der Polizei, Stephan Katte, verteidigte das Vorgehen der Beamten als Zeuge vor Gericht. Salman Abu Sitta sei sei »bekannt für israelfeindliche und strafbewehrte Meinungsäußerungen«, erklärte er. Es sei zu befürchten gewesen, dass dieser sich erneut so äußere und es von Teilnehmern der Tagung zu strafbaren Ausrufen komme. »Die Stimmungslage im Saal war emotional sehr aufgeladen«, sagte der Beamte. Daher hätte man sich nicht sicher sein können, dass der »Versammlungsleiter« in der Lage gewesen wäre, strafbare Äußerungen zu unterbinden. Die Jüdische Stimme widersprach der Darstellung in einem Post auf Instagram: Die Stimmung sei nicht »aufgeladen« gewesen. Vielmehr hätten sich die Menschen »selbst nach stundenlangen Schikanen durch die Polizei« noch ruhig verhalten.

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Ein Großaufgebot der Polizei hatte die Veranstaltung in einem Saal in Berlin-Tempelhof, die aus Brandschutzgründen auf 250 Teilnehmer pro Tag begrenzt wurde, begleitet. Die Behörde hatte sie als öffentliche Versammlung gewertet und wie bei Demonstrationen Auflagen erlassen. Untersagt waren unter anderem das Verbrennen von Fahnen, Gewaltaufrufe gegen Israel und Symbole terroristischer Gruppen. Bis zur Auflösung der Versammlung wurde laut Gericht nicht dagegen verstoßen.

Ein Einreiseverbot gegen den britisch-palästinensischen Mediziner Ghassan Abu-Sittah zum Kongress war bereits am 14. Mai 2024 vom Verwaltungsericht Potsdam für rechtswidrig erklärt worden. Der Neffe von Salman Abu-Sitta ist Rektor der Universität Glasgow. Nach Beginn des Krieges in Gaza arbeitete er dort für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen im Al-Schifa-Krankenhaus. In Berlin sollte er von seinen Erfahrungen dort berichten.

Auch in einem weiteren Fall ging die Polizei nach Einschätzung des Verwaltungsgerichts zu weit. Die Behörde hatte einer Frau verboten, die Parole »From the river to the sea, Palestine will be free« in abgewandelter Form als Motto für eine Kundgebung im Dezember 2023 zu nutzen. Das war rechtswidrig, entschieden die Richter. Durch den Nachsatz der Klägerin »you will get the hug you need« (deutsch: Du bekommst du die Umarmung, die du brauchst) stehe die Parole in einem Kontext, der nicht als Unterstützung der in Deutschland verbotenen Hamas gesehen werden könne. Vielmehr komme darin der Wunsch nach Menschlichkeit zum Ausdruck.

Gegen beide Urteile kann noch die Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg beantragt werden. 
mit Agenturen

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