Ein Veteran wird reanimiert

Baden-Württemberg: Wie Esslinger Enthusiasten einen historischen Obus wiederbeleben

  • Peter Dietrich
  • Lesedauer: 4 Min.

»Was steht denn da im Weg?« So fragte sich Harald Boog, als er 2012 als Technischer Werkleiter zum Städtischen Verkehrsbetrieb Esslingen (SVE) kam. Doch als seine Tochter den Obus 22 zu Gesicht bekam, meinte sie gleich: »Papa, das ist dein tollster Bus.« Wäre er zu restaurieren? Viel Geld, das war Boog klar, könnte der SVE dafür nicht beisteuern. Aber immerhin Fachwissen und ehrenamtliche Arbeit von Mitarbeitern.

Als dieser Bus 1962 in Dienst ging, war er der siebte und letzte einer damals modernen Serie, die sich bestens bewährt hat. Gebaut wurde er von den Henschel-Werken in Kassel, die Elektrik stammte von Kiepe Elektrik und BBC. heute hat Obus 22 mehr als 1,4 Millionen Kilometer auf dem Tacho. Bis 1969 hatte er hinten einen Schaffnerplatz, der später ein beliebter Kindersitz war. 1986 endete der Regeleinsatz des Busses endgültig, als letzter seiner Serie. Es gab weiterhin Mietsonderfahrten, beim Bürgerfest beherbergte Obus 22 vor dem Alten Rathaus eine Sektbar.

Einst gab es in etlichen deutschen Städten Obusse, inzwischen sind es nur noch drei: Esslingen in Baden-Württemberg, Solingen in Nordrhein-Westfalen und Eberswalde in Brandenburg. Der Esslinger Obus 22 hat ein zulässiges Gesamtgewicht von 16 Tonnen, ein Leergewicht von 8,1 Tonnen, 36 Sitzplätze und 75 Stehplätze. Der Bus ist in selbsttragender Aluminium-Leichtbauweise konstruiert und hat rund 110 000 Mark gekostet.

1987 gab es eine Überholung, die Karosserie wurde aufgearbeitet und der Bus bekam Ersatzteile von Obus 21. »Er wurde aber nicht von Grund auf überholt«, sagt Ronald Kiebler. Er ist nicht nur Mitglied des Vereins Stuttgarter Historische Straßenbahnen (SHB), sondern auch Elektroingenieur und Projektleiter der Restaurierung. Der Obus begeisterte ihn schon als Schüler. 2003 fiel Obus 22 bei der Sicherheitsprüfung durch und kam im Februar 2004 ins SHB-Museum, damals noch in Stuttgart-Zuffenhausen, heute in Bad Cannstatt. Im Juli 2009 gab es in Zuffenhausen ein beträchtliches Hochwasser, danach war der Bus nicht mehr fahrfähig. »Noch vier Jahre danach floss bei der Restaurierung das Wasser aus den Bremszylindern«, sagt Kiebler. Mickaél Christophe Pandion, ab 2008 Werkleiter des SVE, holte Obus 22 zurück nach Esslingen.

Anfangs stand für die Restaurierung eine Summe von 70 000 bis 80 000 Euro im Raum. Kiebler erinnert sich noch an die erste Begutachtung im November 2013 in großer Runde - »Profis« und »Amateure« gemeinsam. »Der gute Zustand hat uns sehr motiviert, es gab wenig Rost und am Aluminiumrahmen und der Aluminiumbeplankung wenig Aluminiumfraß.«

Elektrische Komponenten wanderten danach in eine Fachwerkstatt, doch vieles andere wurde ehrenamtlich erledigt. Meistens arbeitet seither ein harter Kern von sechs bis sieben Leuten am Bus. Ursprünglich sollte der im Frühling 2016 wieder fahren, aber: Ehrenamtlich ist zwar billiger, dauert aber manchmal länger. Doch nicht nur daher kommt die Verzögerung. »Wir haben mehr gemacht, als wir ursprünglich geplant haben«, sagt Kiebler. Bisher wurden 2100 Stunden geleistet, bei kniffligen Aufgaben hilft die SVE-Werkstatt. Die Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen wurde als Sponsor gewonnen, Obus 22 wird eine zeitgenössische Reklame bekommen. Derzeit geht Kiebler vom Start im Frühsommer 2017 aus. Dann soll es regelmäßige Touren gehen, etwa an jedem ersten Samstag im Monat, zu einem eigenen Tarif.

Bis dahin ist noch viel zu tun, etwa an der Druckluftanlage mit ihren sechs Behältern. Sie versorgt die - für 1962 sehr moderne - Luftfederung, die elektropneumatische Steuerung, Bremsen und Türen. Die Beläge der Radbremse, die es zusätzlich zur elektrischen Bremse gibt, müssen erneuert werden, das Differenzialgetriebe für die Hinterräder mit Öl ausgewaschen und die Dichtungen erneuert. Und es warten noch viele weitere Arbeiten. Die Überholung solle technisch für lange Zeit genügen, wünscht sich Kiebler. Drinnen im Bus gast der Kinnaufprallschutz an den Rückenlehnen inzwischen aus und ist klebrig. Doch solche Details gehen die Enthusiasten erst ganz zum Schluss an. Eines steht schon fest: Am Bus werden die originalen Wappen und Liniensteckschilder wieder angebracht.

Der Obus braucht zwei Zulassungen: Einmal straßenrechtlich vom TÜV, außerdem eine nach der Straßenbahn-Bau- und Betriebsordnung (BOStrab). Denn Straßenbahnen im Sinne dieser Ordnung sind auch Obusse, der Esslinger Obus-Betrieb wird nach BOStrab abgewickelt. Elektrisch gibt es aber einen großen Unterschied: Eine Straßenbahn ist durch den Kontakt zu den Schienen ständig geerdet, ein Bus wegen der Gummireifen nicht. Deshalb braucht er zur Sicherheit doppelte Isolierungen.

Die Obus-Liebhaber beim Verein SHB, beim SVE und außerhalb sorgen dafür, dass Obus 22 nicht den Weg seines Zwillings Obus 21 geht: Nach dessen mehrfacher Organspende für den Bruder kam er im Frühjahr 1988 zur Verschrottung nach Reichenbach. Wenn Obus 22 dann hoffentlich wieder startet, ist ein Detail für den Fahrer extrem wichtig: Wie bei anderen Obussen aus dieser Zeit ist das Bremspedal rechts und das Strompedal links von der Lenksäule.

Mehr Informationen über den Esslinger Obus 22 auf der Liebhaber-Webseite im Internet www.obus-es.de

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