Die Mörder kamen aus Russland - oder?

Internationale Untersuchungskommission präsentierte ihre Sicht auf den Abschuss von MH-17

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Flug 17 von Malaysia Airlines war am 17. Juli 2014 über der Ostukraine brutal beendet worden. 283 Passagiere und 15 Besatzungsmitglieder der Boeing 777 starben. 196 Niederländer waren darunter. Das Flugzeug befand sich auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur und überflog gerade Bürgerkriegsgebiet. Seit dem Abschuss geistern mehr oder weniger sachlich und fachlich fundierte Theorien über Tat und Täter durch die Welt.

Mit der seriösen Untersuchung des Verbrechens sind zwei niederländisch geleitete Gremien beauftragt. Der Onderzoeksraad voor Veiligheid - zu deutsch Untersuchungsrat für Sicherheit - untersucht die Gründe für den Absturz der Maschine. Auch, um daraus Schlüsse für die gesamte Flugsicherheit zu ziehen. In dem Team arbeiten Experten aus den Niederlanden, Malaysia, der Ukraine, den USA, Großbritannien, Australien und Russland. Sie äußern sich nicht definitiv zum benutzten Mordwerkzeug und nicht zu möglichen Tätern.

Um diese strafrechtliche Seite kümmert sich eine Ermittlungsgruppe, in der Fachleute aus Malaysia, Australien, Belgien und der Ukraine sowie die EU-Justizbehörde EUROJUST arbeiten. Geleitet wird sie vom niederländischen Staatsanwalt Franz Westerbeke. Sein Team, das am Mittwoch einen ersten Bericht zu Hintergründen des Abschusses von Flug MH-17 vorlegte, gab sich redlich Mühe. Bis zu 200 Rechercheure waren eingebunden, man wertete den Wortlaut abgefangener Telefongespräche aus, ergründete, von wo sie wann geführt wurden, man sichtete Fotos und Videos, stellte verschiedene Berechnungen an. Man identifizierte angeblich rund hundert Menschen, die an dem Abschuss beteiligt gewesen sein könnten, man rekonstruierte den Weg, den die offenbar aus Russland ins Rebellengebiet geschaffte BUK-Lafette genommen hat, bis sie letztlich Stellung auf einem Feld in der Nähe des ostukrainischen Ortes Snischne bezog. Das Gebiet sei zu dem Zeitpunkt zweifelsfrei in den Händen sogenannter pro-russischer Rebellen gewesen. Nach dem unheilvollen Raketenstart habe man das Kettenfahrzeug eiligst wieder per Tieflader auf russisches Gebiet geschafft. Auf der Rampe fehlte eine Rakete.

Beim Gegencheck der vorgelegten Fakten fallen durchaus Unstimmigkeiten auf. Die Herkunft von Beweisen ist unklar. Ein Gutteil des vorgelegten Beweismaterials ist aber bekannt. Videosequenzen und Fotos sind von der selbst ernannten Enthüllungsplattform »Bellingcat« gesammelt und bewertet worden. Die Ermittler konnten offenbar viele Schlussfolgerungen nachvollziehen. Zudem wurde auf Geheimmaterial verwiesen, das dem Gremium von den USA zur Verfügung gestellt wurde. Doch was warum wie geheim bleiben muss, lässt sich durch die Nichtvorlage nur schwer bewerten.

Eine Schlüsselfrage lautet, warum hat Russland so eine einzelne und damit nur autonom zu richtende, also militärisch wenig effektive BUK-Lafette überhaupt ins Rebellengebiet geschafft? Allenfalls ging es bei den Kämpfen vor Ort darum, die Rebellen vor Erdkampfflugzeugen und Hubschraubern der ukrainischen Armee zu schützen. Dafür ist eine so weitreichende und von gut ausgebildetem Personal zu betreibende BUK nun wahrlich nicht geschaffen. Normalerweise setzt man eine BUK-Lafette im System mit anderen ein. Dann werden bis zu sechs Startgeräte - siehe Grafik - von einem Feuerleitradar gelenkt. Doch von der Verlegung einer solchen kompletten Fla-Rak-Batterie war nie auch nur ansatzweise die Rede.

Nur am Rande war bei der Präsentation die Rede von Daten eines Primär-Radars, die das russische Militär am Montag überraschend vorgelegt hatte. Die Informationen, so hieß es, seien einfach zu spät gekommen.

Dabei hatte es die dazu in Moskau abgehaltene Pressekonferenz in sich. Nicht nur, dass die russische Seite mit diesen Angaben selbst lancierte Abschusstheorien vom möglichen Einsatz eines ukrainischen Su-25-Kampfjets gegen die Boeing kassierte. Die Frage ist auch, warum die Radardaten erst über zwei Jahre nach dem Abschuss vorgelegt werden. Wirklich nur, um darauf hinzuweisen, dass die ukrainische Seite ihre Radardaten noch immer nicht veröffentlicht hat? Oder um anzuprangern, dass die USA die von Außenminister John Kerry bereits im Sommer 2014 angekündigten, angeblich beweiskräftigen Satellitenfotos nicht herausrücken? Dass man auf den Bildern keine aus östlicher Richtung anfliegende russische Boden-Luft-Rakete sieht, sagt noch lange nicht, dass es sie nicht gab.

Auch wenn die deutsche Regierung die Ermittlungsergebnisse als großen Schritt vorwärts begrüßt - in Zeiten des gerade neu belebten Ost-West-Konflikts hat es die Wahrheit auf allen Seiten schwer. Daher ein Blick in die Geschichte: Lockerbie am 21. Dezember 1988. Über dem schottischen Ort explodierte eine Boeing 747 der US-Fluggesellschaft PanAm. Eine Höllenmaschine war an Bord von Flug 103 geschmuggelt worden. Sie tötete alle 270 Insassen. Libyen wurde beschuldigt, hinter dem Attentat zu stecken. Es dauerte zwölf Jahre, bis ein angeblich Schuldiger vor seinem Richter stand. Doch auch nach seiner Verurteilung bleiben Zweifel.

Libyen hat übrigens seine Rädelsführerschaft völkerrechtlich verbindlich nie eingestanden, sondern nur die Verantwortung »für Taten seiner Offiziellen« übernommen. Und klammheimlich Entschädigungen gezahlt.

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