Die Verdeckung der Langsamkeit

Wie beim HSV ein schwerreicher Fachmann aus unmittelbarer Nähe punktgenaue Persönlichkeitsprofile über leitende Angestellte verfasst und damit (un)wissentlich dazu beiträgt, dass diese anschließend gefeuert werden

»Mitleid«, diese Vokabel benutzen manche Menschen tatsächlich, wenn sie über Trainerentlassungen sprechen. »Leidtun« müssen einem die Herren allerdings nur eingeschränkt. Wer in einem Monat so viel verdient wie ein Durchschnittsverdiener in drei Jahren und eine Lohnfortzahlung im Entlassungsfall sein eigen nennt, dessen Schicksal ist dann doch nicht ganz so hart wie das von ein paar Milliarden anderen Menschen. Doch das nur am Rande, beziehungsweise am Anfang.

Auch der gerade in Hamburg geschasste Bruno Labbadia muss einem also nicht leidtun, zumal der Mann an seiner Demission von Beginn an selbst schuld war. Wer bei Verstand ist und einen Vertrag beim Hamburger SV unterzeichnet, weiß, dass er in einem höchst irrationalen Umfeld arbeitet, das strukturell zu vielem taugt, nur nicht zu sportlichem Erfolg.

Im Falle von Labbadia war es dann auch so, dass viele Spieler und die Fankurve das gleiche Gefühl hatten und das auch deutlich kundgetan haben. Es war das Gefühl, dass es diesmal nicht am Trainer liegt, wenn der HSV im unteren Tabellendrittel steht. Also da, wo er eigentlich immer steht, obwohl er – ebenfalls wie immer – mal wieder für viele Millionen neue Spieler gekauft hat.

Doch beim HSV geht es nicht rational zu. Das Sagen hat dort ein auf die 80 zugehender, schwerreicher Fachmann (im Speditionswesen), der aus unmittelbarer Nähe (Mallorca) punktgenaue Persönlichkeitsprofile über leitende Angestellte (Peter Knäbel, Oliver Kreuzer, Bruno Labbadia) verfasst. Die werden dann kurz darauf von dem Mann entlassen, der stets betont, besagter Mäzen mische sich genausowenig ins Tagesgeschäft ein wie ein Spielerberater, von dem sich wiederum der Mäzen beraten lässt.

Beiersdorfer ist allerdings ein Mann, der genauso langsam entscheidet wie er spricht. Ein solcher Mann hat dann vielleicht in drei, vier Jahren für sich beantwortet, welchen Anteil er selbst an der Hamburger Dauerkrise hat. Wer ihn das jetzt schon fragt, handelt also wenig einfühlsam. Und nichts hätte Beiersdorfer mehr verdient als ein wenig Einfühlsamkeit. Die letzten Monate war er schließlich damit ausgelastet, ein Leitbild erstellen zu lassen, das vom menschlich-korrekten Umgang, von Werteorientierung und Kontinuität handelt und so schön klingt, dass jeder, der es liest, mühsam die Tränen der Rührung herunterschlucken muss.

Wie man sieben Monate brauchen kann, bis das fertig ist, ist allerdings ein Rätsel. Da es in jedem einzelnen Punkt exakt der gelebten Praxis beim HSV widerspricht, müsste es eigentlich am Abend einer eintägigen Betriebsführung am Spieltag auch fertigzustellen sein.

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