Deutsche Bahn stellt ihre Nachtzüge komplett ein
Österreichische Bundesbahn übernimmt einige Strecken / 17 Prozent des Umsatzes mit nächtlichem Personenverkehr
Kunden der Deutschen Bahn (DB) sind Kummer gewöhnt. Züge sind unpünktlich, nicht selten fällt die Klimaanlage aus. Verbindungen werden ausgedünnt, das Nachtzuggeschäft ganz aufgegeben. Die Preisgestaltung ist so kompliziert, dass man einen Doktortitel in Bahnologie haben müsste, um noch durchzusteigen, und immer teurer wird es sowieso. Erst in dieser Woche kündigte die DB ein neues Tarifsystem im Fernverkehr an, das gerade dann einen Aufschlag verlangt, wenn die meisten Leute reisen wollen. Fahrgastverbände sprachen von »Abkassiererei«. Geht das nicht auch anders?
Geht es nach den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), dann heißt die Antwort ganz klar ja. Der Staatskonzern kommt auf 96,3 Prozent Pünktlichkeit. Er bezieht 92 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Quellen. Und nun übernehmen die Österreicher auch noch einen Teil des deutschen Nachtreisezug-Angebots. Schon jetzt machen sie 17 Prozent ihres Umsatzes mit Nachtzügen.
Um die Übernahme zu verkünden, hatte der Staatskonzern aus Wien am Freitag eigens in die österreichische Botschaft in Berlin eingeladen. An dieser sozusagen höchstoffiziellen Örtlichkeit schwelgte ÖBB-Chef An-dreas Matthä - im Beisein von DB-Vorstand Berthold Huber - genüsslich in bildreichen Schilderungen, wie großartig es nun mit dem von den deutschen Bahnvertretern nicht mehr geliebten Angebot weitergehen wird, wenn erst einmal »die österreichische Art zu reisen« Einzug hält.
»Nachtzüge sind das ideale Angebot für den nächsten Urlaub in Österreich«, sagte Matthä und warb damit gleich auch für die wichtige Tourismusbranche seines Landes. Man komme ausgeschlafen an, und während Autoreisende von schlechtem Wetter oder Stau oder beidem böse überrascht werden, bekomme man im Nightjet der ÖBB »a Flascherl Prosecco« serviert und morgens dann ein Wiener Frühstück, kostenlos sogar. Auch könne man Auto, Motorrad oder Fahrrad mitnehmen. »Lässig statt stressig«, das sei das Motto.
Konkret bieten die ÖBB ab dem Winterfahrplan Anfang Dezember sechs neue Nachtverbindungen in Deutschland an, zusätzlich zu den neun schon bestehenden. Der Konzern hat 40 Millionen Euro in die Hand genommen, 15 Liege- und 42 Schlafwagen von der Deutschen Bahn gekauft und modernisiert. Bei einer kalkulierten Auslastung von 50 Prozent wollen die Österreicher schon im ersten Jahr »positive Ergebnisse« einfahren.
Warum der Deutschen Bahn das nicht gelungen ist, konnte DB-Vorstand Huber nicht beantworten. Dem Umsatz von 90 Millionen Euro im Nachtzuggeschäft - ein Prozent vom gesamten Konzernumsatz - habe zum Schluss ein Defizit von rund 30 Millionen gegenübergestanden, sagte Huber. Das habe man abbauen müssen. »Nachtzüge sind ein schwieriges Geschäft in Europa.« Die anderen europäischen Partner - mit Ausnahme Österreichs - hätten keine Nachtzüge mehr gewollt, rechtfertigte er den Komplettausstieg. Trotz des neuen ÖBB-Angebots werden aber einige Nachtzugstrecken ersatzlos gestrichen: Ost-West-Verbindungen wie Warschau-Köln oder Dresden-Basel sowie die Verbindung von der Schweiz über Köln in die Niederlande entfällt.
Für die Kunden sei das sogar besser, so lautet Hubers Logik. Denn das Angebot an reinen Sitz-Zügen sei nun in den Abend- und Morgenstunden ausgeweitet worden. Zugleich entfalle die für Nachtzüge obligatorische Reservierungsgebühr von 4,50 Euro.
Kritiker wollen das nicht gelten lassen. Wenn normale Reisezüge jetzt auch in der Nacht fahren, sei das keine Verbesserung, monierte der Chef der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, Alexander Kirchner. Und für eine bessere europäische Zusammenarbeit in Sachen Nachtzug suche man bei der Bahn ein entsprechendes Engagement vergeblich. »Die Eisenbahnen verspielen so ein Alleinstellungsmerkmal, das auch ökologisch einzigartig ist«, so Kirchner.
Leidtragende werden auch die rund 300 betroffenen Mitarbeiter sein. Sie müssen sich nun intern auf andere Stellen bewerben. Ob sie genommen werden, ist unklar. Eine Handvoll von ihnen hatte sich am Freitag vor der Österreichischen Botschaft zum Protest versammelt: »Nachtzüge sind billiger als Stuttgart 21«, argumentierten sie. Das umstrittene Bahnhofsprojekt der DB wird wohl mindestens vier Milliarden Euro mehr kosten als ursprünglich geplant. An einen Ausstieg aus dem Projekt denkt die Bahn aber nicht.
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