Wir sind alle in der Veranwortung

Simone Oldenburg (LINKE) über ihre Wahl zur Fraktionsvorsitzenden und den schwierigen Umgang mit der AfD

  • Lesedauer: 5 Min.

Seit knapp zwei Wochen sind Sie nun Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Schweriner Landtag. Ändert sich dadurch die Perspektive aufs Geschehen?

So riesig ist die Umstellung nicht. Ich war ja vorher die stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Aber das Gefühl, dass ich in der Fraktion und für die Fraktion eine größere Verantwortung habe, das ist schon spürbar.

Apropos Verantwortung: Ihre Fraktion ist geschrumpft. Das heißt: weniger Ressourcen, weniger Geld für Mitarbeiter. Ist es nicht eine undankbare Aufgabe, wenn Sie als LINKE ihre eigenen Fraktionsmitarbeiter entlassen müssen? Wie geht man als LINKE damit um?

Wir haben natürlich das Bestreben, niemanden zu entlassen. Es gibt Arbeitsverträge, die ausgelaufen sind, weil etwa der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zu den Werften endet. Die waren von Anfang an befristet. Aber auch da hatten wir sehr gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir hoffen, sie zurückholen zu können, wenn es beispielsweise wieder einen Untersuchungsausschuss oder eine Enquetekommission gibt.

Und die Festangestellten?

Die Situation ist in der Tat nicht einfach. Aber wir versuchen gemeinsam, eine solidarische Lösung zu finden, dass alle bleiben können.

Eigentlich hatte sich der alte Fraktionsvorsitzende Helmut Holter zur Wahl gestellt. Erst während der Sitzung hätten Sie sich entschlossen, gegen ihn anzutreten, so meldeten es später die Agenturen. Was hat Sie zu dieser Entscheidung bewogen?

Es lief tatsächlich etwas anders ab, als teilweise von der Presse dargestellt. Ich hatte mich im Vorfeld bereit erklärt, zur Wiederwahl als stellvertretende Fraktionsvorsitzende anzutreten. Am Tag vor der Wahl hatte ich meine Bewerbung per Mail eingereicht.

Das heißt, Sie hatten sich als Fraktionsvize beworben?

Ja, genau. Dann kam die geschlossene Fraktionssitzung, auf der der Vorstand, also Fraktionsvorsitz und Stellvertreter, gewählt werden sollten. Im Verlauf dieser Sitzung schälte sich heraus, dass die meisten Mitglieder der neuen Fraktion einen personellen Neuanfang als Grundlage für unsere zukünftige Arbeit wollten. Und da wurde ich vorgeschlagen. Ich habe daraufhin gesagt: Wenn ich das Vertrauen der Mehrzahl der Fraktionsmitglieder habe, dann würde ich mich mit ihnen gemeinsam dieser neuen Aufgabe stellen.

Sie haben sich also gar nicht selbst ins Spiel gebracht, sondern wurden als Kandidatin vorgeschlagen?

Ja, so ist es.

Das Verhältnis zu Helmut Holter ist doch sicher angespannt. Er sprach nach seiner gescheiterten Wiederwahl von einer »Palastrevolte« und einem »Desaster«.

Nein, wir sind an Inhalten orientiert. Wir leben weder in einem Palast noch ist eine demokratische Wahl ein Desaster. Wir haben als Partei und Fraktion zusammen das schlechteste Wahlergebnis seit 1990 eingefahren. Da sind wir alle in der Verantwortung. Wir haben auch keine Zeit, maulig in der Ecke zu sitzen.

Nun ist die LINKE kleinste Oppositionsfraktion und muss dort neben den Alphamännchen von der AfD bestehen. Wie bleibt man da wahrnehmbar?

Wir wissen ja aus Erfahrung, wie es ist, wenn alle Anträge der Opposition reflexartig abgelehnt werden. SPD und CDU, vor allem die Sozialdemokraten, haben teilweise abenteuerliche Pirouetten gedreht, um die Ablehnung unserer konstruktiven Vorschläge zu begründen. Oft wurde auch mit dem Koalitionszwang argumentiert. Wir wissen, wie schwierig Oppositionsarbeit ist, wenn Inhalte keine Rolle spielen. Und deswegen ist es uns wichtig, den Umgang mit Anträgen und anderen Initiativen der AfD, aber auch der Regierungsfraktionen immer am Inhalt zu messen. Die AfD ist ja ein Sammelbecken. Und in diesem Sammelbecken wollen wir nicht fischen, wir wollen es trockenlegen.

Und wie legt man so ein Sammelbecken trocken?

Wir werden die AfD-Abgeordneten mit ihren eigenen Inhalten konfrontieren. Wir werden bei den Anträgen ganz genau hinschauen und sie bei ihren Positionen packen. Wir können nachhaken, etwa mit Änderungsanträgen, die dann womöglich die tatsächliche Absicht der AfD offenbaren. Sicher wird sich auch die Zerrissenheit dieser Fraktion zunehmend zeigen.

Welche verschiedenen Lager sehen Sie in der Nordost-AfD? Da gibt es einen ehemaligen Radiomoderator, einen rechtsextremen Greifswalder Juraprofessor, einen Jugendrichter. Stehen die auch alle für unterschiedliche Ausrichtungen der AfD?

Wir haben ja bei der AfD Politiker, die vormals anderen Parteien angehörten, wie etwa SPD, CDU oder FDP. Weil erfahrene Politiker dabei sind, hat die angebliche Alternative auch so schnell Fuß gefasst. Hier bringen Menschen entsprechende Vorkenntnisse mit. Sie wissen, wie Politik funktioniert und waren damit rasch handlungsfähig. Dennoch sind bereits jetzt unterschiedliche Lager erkennbar - das Spektrum reicht von konservativ bis ganz rechts außen. Dies wurde bereits bei der umstrittenen Aufstellung des Kandidaten zum Vizepräsidenten des Landtages deutlich. Der extrem rechtskonservative Greifswalder Jurist Ralph Weber ist ja in seiner Fraktion nicht unumstritten.

Also wird man den »Schweriner Weg« in Bezug auf die AfD diesmal nicht gehen? Die Vereinbarung zwischen den Fraktionen besagte ja, dass man alle Anträge der im Landtag vertretenen NPD ablehnt und der Partei so wenig wie möglich Beachtung im Parlament schenkt.

Nein. Wir werden uns mit den Inhalten auseinandersetzen. Diese sind zum Teil menschenverachtend, rückwärtsgewandt und frauenfeindlich. Das müssen wir klar und deutlich benennen. Das funktioniert nicht, indem man die Partei ignoriert, sondern man muss inhaltliche Diskussionen führen.

Wo wird die LINKE in dieser Legislatur ihre Schwerpunkte setzen?

Wir werden diesen großen Begriff der sozialen Gerechtigkeit so erklären, dass er fassbar und für alle nachvollziehbar ist. Was ist soziale Gerechtigkeit im Arbeitsleben, was ist soziale Gerechtigkeit in der Bildung und was ist soziale Gerechtigkeit in der Kultur? Das sind Fragen, auf die wir verständliche Antworten finden wollen. Wir müssen das große Thema soziale Gerechtigkeit runterbrechen auf die einzelnen Politikbereiche und somit verständlicher werden.

Das ist die große Klammer, aber welche konkreten Punkte haben Sie auf der Agenda?

Wir sind dabei, unsere Schwerpunkte zu konkretisieren. Aber die kostenlose Kita, die zehnjährige Schulpflicht oder mehr Deutsch- und Mathematikunterricht in der Grundschule werden sicher dazu gehören. Der letzte Punkt liegt mir dabei als Lehrerin besonders am Herzen. Ein Drittel unserer Kinder hier in Mecklenburg-Vorpommern bleibt in ihren Fähigkeiten weit unter den Regelstandards. Man muss ihnen mehr Zeit geben zum Lernen. So wie bei der Bildung werden wir uns ganz konkret etwa bei der Entwicklung Vorpommerns, bei der Sicherung bezahlbaren Wohnens oder bei der Stärkung von Bus und Bahn einbringen.

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