- Politik
- Budapest-Komplex
Vater von Maja T. spricht von Folter
Über 100 000 Unterzeichner fordern Bundesregierung zum Handeln auf
Nach rund 300 Kilometern ist Wolfram Jaroschs Protestmarsch »Zu Fuß für Gerechtigkeit!« am Montag in Berlin zu Ende gegangen. Die letzte Etappe führte den Jenaer mit rund 90 Personen zur ungarischen Botschaft und schließlich zum Auswärtigen Amt. Jarosch übergab dort eine Petition mit mehr als 100 000 Unterschriften. Darin fordern »Eltern gegen Auslieferung« die Rückführung von Maja T. für ein faires rechtsstaatliches Verfahren in Deutschland sowie einen Auslieferungsstopp für alle weiteren Beschuldigten im sogenannten Budapest-Komplex.
Ein erbetenes persönliches Gespräch mit Außenminister Johann Wadephul (CDU) wurde Jarosch nicht gewährt. Die Petition nahm ein Mitarbeiter des Ministeriums entgegen. Im Anschluss gab es jedoch ein etwa 40-minütiges Gespräch mit dem Mitarbeiter, zu dessen Inhalt sich Jarosch nicht äußern wollte.
Der Vater der an Ungarn ausgelieferten Antifaschist*in Maja T. hatte sich zum Jahrestag der umstrittenen Maßnahme auf den Weg von Jena in die Hauptstadt gemacht. Eine letzte Etappe führte am Sonntag mit rund 300 Personen zum Kammergericht, das die Auslieferung von Maja genehmigt hatte. Dort hielt Jarosch eine emotionale Rede, in der er das Vorgehen der Behörden im Fall von Maja T. als »paramilitärisch« bezeichnete. Die Demonstration endete am Checkpoint Charlie, dem wohl bekanntesten einstigen Grenzübergang zwischen BRD und DDR.
Am Sonntagabend erklärten Jarosch und Majas deutscher Anwalt Sven Richwin die aktuelle Situation in einer Veranstaltung in einem vollbesetzten Saal des linken Zentrums »Regenbogenfabrik« in Kreuzberg. Jarosch nannte die seit über einem Jahr andauernde und nun im Haftkrankenhaus fortgesetzte Isolationshaft seines Kindes »psychische Folter«. Mit einem vor fünf Wochen begonnenen Hungerstreik kämpfe Maja für Menschenwürde, Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Seinem Bericht zufolge wiegt Maja inzwischen 13 Kilogramm weniger. Die behandelnden Ärzte erklärten offenbar, dass sie sich nicht an Majas Patientenverfügung und Ablehnung von Zwangsbehandlung gebunden fühlen.
Ein persönliches Gespräch mit Außenminister Wadephul wurde Jarosch nicht gewährt.
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In der Berliner »Regenbogenfabrik« erklärte Anwalt Richwin, die non-binäre Person habe kaum Chancen auf ein faires Verfahren. Das Urteil, das bis zu 24 Jahre Haft bedeuten könnte, werde von einem Einzelrichter und nicht wie in Deutschland von einer Kammer gefällt. Maja darf nicht neben ihrem ungarischen Verteidiger sitzen, die Übersetzung sei teils schlecht. Bei der Vernehmung von Zeug*innen fasse der Richter zusammen, was geschildert werde. Würden Personen auf Videomaterial nicht erkannt, fragt der Richter suggestiv nach – was in Deutschland nach dem Unmittelbarkeitsgrundsatz angegriffen werden könnte. Auch die Vernehmung per Video kritisiert Richwin: In einem Fall hätten Zeug*innen, die Menschen auf Fotos erkennen sollten, zu dritt im Zimmer gesessen. Vor Gericht hätten sie ihr Narrativ verbreiten können, als harmlose Tourist*innen angegriffen worden zu sein.
Zu Wort kam am Sonntagabend auch ein Mitglied der deutschlandweiten Solidaritätsgruppe für die Beschuldigten und Inhaftierten. Das Budapest Antifascist Solidarity Committee (BASC) hat zuletzt Aktionstage ausgerufen, zu denen es in 30 Städten Proteste gegeben haben soll. Auch eine Sitzung des Landtags in Sachsen sei mit Transparenten gestört worden – neben Jaroschs Wanderung die bislang medienwirksamste Aktion. Zu Beginn seien nur einige Linkspartei-Politiker*innen auf der Seite von Maja gewesen und hätten sie im Gefängnis besucht, dann auch Grüne – nun müsse entsprechender Druck auf die SPD ausgeübt werden. Die Solidaritätsgruppe ruft zu »zivilem Ungehorsam« und zu Protesten bei einheimischen Firmen »mit Wirtschaftsinteressen in Ungarn« auf. Vor allem die großen deutschen Automobilunternehmen betrieben Standorte in dem Land.
Zuletzt sprach am Sonntag eine Schwester von Nele A., einer der insgesamt acht Aktivist*innen, die sich seit Februar gestellt hatten. Die fortwährende Repression gegen die antifaschistischen Strukturen habe dazu geführt, dass Solidaritätsstrukturen stark zusammengewachsen seien, so ihre Einschätzung. Im Gegensatz zu anderen Beschuldigten könne ihre einsitzende Schwester einmal pro Woche Besuch empfangen, Nele sei zudem »immer noch fröhlich und witzig«. Wie auch der Sprecher der Solidaritätsgruppe weist die Schwester auf die Situation von Zaid hin, der als syrischer Staatsbürger als einziger der Selbststeller*innen derzeit von der Auslieferung nach Ungarn bedroht ist.
Solidarität kommt auch von der evangelischen und katholischen Gefängnisseelsorge, die in einer gemeinsamen Stellungnahme vor der queerfeindlichen Rechtsprechung und Gesetzgebung im ungarischen Justizsystem warnt. Als queere Person sei Maja T. in dem ohnehin gewaltgeprägten Gefängnissystem zusätzlichen Gefahren ausgesetzt, heißt es in dem Schreiben. Die Seelsorge fordert deshalb ebenfalls diplomatischen Druck für eine Rückholung. Ähnlich hatte es bereits vergangene Woche der bundesweite Verein Transinterqueer gefordert.
Dem schließen sich drei Jenaer Pfarrer*innen an. »Majas Isolationshaft unter unwürdigsten Bedingungen und der aktuelle Hungerstreik sind Ausdruck eines Systems, das gezielt queere Menschen diskriminiert«, heißt es in einer am Wochenende veröffentlichten Erklärung. Den jüngsten Versuch der Regierung für ein Pride-Verbot in Budapest sehen die Geistlichen als Beleg für Ungarns staatlich geförderte Queerfeindlichkeit. Mit Verweis auf die biblische Verpflichtung zu Barmherzigkeit und christlicher Nächstenliebe fordern sie die Bundesregierung auf, alle diplomatischen Mittel für Majas Rückholung einzusetzen.
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