Smalltalk auf einem Minenfeld

Im Hans-Otto-Theater Potsdam inszeniert Elias Perrig das Stück »Geächtet« von Ayad Akhtar

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 4 Min.

In den vergangenen Jahren feiern auf den Bühnen Europas und der USA Stücke einer ganz besonderen dramaturgischen Bauweise ungeahnte Erfolge. Ehepaare treffen sich darin zum scheinbar unbelasteten Abendgespräch, aus nichtigem Anlass entsteht Streit, und der Streit endet in der Katastrophe. Nicht nur die Wohnungseinrichtung, sondern auch individuelle Lebensentwürfe liegen dann in Scherben.

Der Ausgangspunkt ist banal. In Yasmina Rezas »Der Gott des Gemetzels« wollen zwei Ehepaare den Streit ihrer Kinder schlichten und in »Der Vorname« von Delaparte und de Palliere geht es darum, den passenden Vornamen für ein ungeborenes Kind zu finden. In Ayad Akhtars Stück »Geächtet« treffen sich zwei Pare der New Yorker Upper Class zum Abendessen. Amir, Sohn pakistanischer Einwanderer, ist erfolgreicher Rechtsanwalt, seine Frau Emily aufstrebende Künstlerin, die eine neue Ausstellung vorbereitet. Ihre Gäste sind Isaac, ein jüdischer Galerist, und dessen Frau Jory, eine afroamerikanische Juristin, die in der gleichen Kanzlei wie Amir arbeitet.

Im leichten Plauderton wird ein gesellschaftliches Minenfeld betreten. Größe und Abgründe der islamischen, jüdischen und christlichen Religion kommen zur Sprache, ebenso wie die darin eingeschriebenen Zukunftshoffnungen und menschlichen Gefährdungen. Zunächst aber geht es um Belanglosigkeiten - darum, ob Bartman, der Außenfeldspieler der »Knicks«, seinem Gegenspieler von den »Cubs« den Ball auf faire oder unfaire Weise entwendet hat oder aus welchem Grund Woody Allen in einem Film einem gewissen Keaton das Buch mit dem Titel »Dynamik des Todes« geschenkt hat, einem Titel, mit dem Isaac seine neue Ausstellung überschreiben will.

Es zeigt sich, dass die Sichtweisen der Protagonisten auf gesellschaftliche Probleme diktiert sind von ganz persönlichen Aufstiegsbemühungen, Abstiegsängsten und Überlebenskämpfen. Amir hat seinen pakistanischen Wurzeln ebenso wie dem Koran abgeschworen, weil seine Herkunft und sein Glauben karrieretechnisch von Nachteil sind. So behauptet er, der Koran wäre »ein Hassbrief an die Menschheit« und nichts anderes als ein Regelwerk für das Zusammenleben eines kleinen Stammes im siebten Jahrhundert in der Wüste. Für Jory, die angepasste Streberin, gilt Kissingers Satz als Gesetz, nach dem Ordnung wichtiger sei als Gerechtigkeit. Emily preist Tiefe und Menschlichkeit islamischer Kunst, weil sie darin eine neue Inspirationsquelle für ihre eigene Kunst sieht. Isaac gibt ihr beflissen Recht, weil sich da eine neue Vermarktungsstrategie auftut.

Ganz unvermittelt, gleichsam unter dem Genuss von Wein und Anchovis-Fenchel-Salat, scheinen Vorboten der späteren Katastrophe auf. Amir zerschlägt nach einem Telefongespräch mit seinem Chef ein Schnapsglas auf der Terrasse, weil er eben erfahren hat, dass er bei ihm in Ungnade gefallen ist. Später versucht er, seine Kollegin Jory von einer gemeinsamen neuen Kanzlei zu überzeugen, während die in dessen Abwesenheit davon spricht, dass sie an Amir vorbei in der jetzigen aufgestiegen ist. Amir, der das ahnt, lässt sich dazu hinreißen, Stolz über die Vorgänge vom 11. September 2001 auszudrücken. Zum Höhepunkt des Streits schlägt er seine Frau, nachdem er erfahren hat, dass die eine Affäre mit Isaac hatte. Am Ende ist Amir allein in der gemeinsamen Wohnung verblieben und die kurzzeitig zurückgekehrte Emily bittet ihn, ihr in Zukunft keine Briefe mehr zu schreiben.

Die szenische Umsetzung des Stücks hat ihre Schwierigkeiten. Im jähen Bruch folgt auf den Smalltalk die wüste verbale Beschimpfung, unter dem Blabla scheint der Absturz in die Katastrophe auf. In Elias Perrigs Inszenierung fehlt über weite Strecken diese zweite Schicht. Wenn Melanie Straub begeistert über den Tiefgang und die Formensprache muslimischer Kunst spricht, hört es sich an, als ob sie einen Diskussionsbeitrag in einem kunstgeschichtlichen Oberseminar hält. Dass da eine bislang nur mäßig erfolgreiche Künstlerin krampfhaft nach einem neuen Ansatz sucht, bleibt verborgen. Zunehmend dominiert der Diskurs über die inneren Vorgänge, der Eindruck von Länge stellt sich ein. Die Aufführung gewinnt an Glaubwürdigkeit und Dringlichkeit, wenn die Figuren Emotionen nicht mehr zurückhalten, so wenn Philipp Mauritz als Isaac sein sexuelles Interesse an Emily nicht mehr unter Verschluss hält oder wenn die in einer Mischung von Selbstekel und Selbstmitleid ihre Affäre mit Isaac gesteht.

Den Amir spielt Jon Kaare Koppe als ein Gegenbild zum intellektuellen Debattenhelden. Seine Ausfälle gegen den Islam sind kein Diskussionsbeitrag, sondern getragen von der Wut auf einen Glauben, den er mit allen Mitteln verdrängen wollte, der ihn aber immer wieder einholt. Allerdings erscheinen Koppes darstellerische Mittel als zu gleichförmig. Töne von Angst, Wut und Genervtsein wiederholen sich allzu oft. Zum Schluss, wenn er im Wortsinne die Grenzen seiner Wohnung mit Muskelkraft verschieben will und vergeblich um die Rückkehr seiner Frau kämpft, hat das Geschehen tragische Größe: Das Verdrängen seiner Wurzeln hat ihn zerstört.

Nächste Vorstellungen: 12.,16. Oktober

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