Haus oder Hartz IV

Urteil: Weil das Eigenheim zu groß ist, bekommt eine Familie keine Sozialleistungen mehr

  • Grit Gernhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen ist, muss sich darauf einstellen, dass die Jobcenter in vielen Bereichen des täglichen Lebens eingreifen: Kontostände werden überprüft, jeder Verwandtenbesuch muss angemeldet, jedes Geldgeschenk verrechnet werden. Auch beim Thema Wohnen redet das Amt mit: Die Räume dürfen nur »angemessen« groß und nicht zu teuer sein. Klagen gegen die von den Jobcentern verordneten Zwangsumzüge sind oft erfolgreich gewesen - doch nicht immer folgen Gerichte den Einwänden der Kläger.

So auch das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel am Mittwoch: Laut seiner Entscheidung (AZ: B 4 AS 4/16 R) muss eine Familie aus dem Landkreis Aurich ihr selbst genutztes Eigenheim verkaufen, weil es nach dem Auszug von drei ihrer vier Kinder unangemessen groß sei. Das zuständige Jobcenter hatte die Zahlung von Hartz IV als Zuschuss verweigert, die Familie wollte diese Entscheidung gerichtlich aufheben lassen. Vor dem Landessozialgericht war sie damit bereits gescheitert, nun lehnte auch das Bundessozialgericht die Revision ab.

Mit vier Kindern hatte die Familie in einem Haus mit rund 144 Quadratmetern gewohnt. Als angemessener Wohnraum gelten gewöhnlich 45 bis 50 Quadratmeter für einen Single, für zwei Personen etwa 60 Quadratmeter. Für jede weitere Person sind 15 bis 20 Quadratmeter zusätzlich einzurechnen. Maßgeblich sind allerdings immer die örtlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten. Dasselbe gilt für die Höhe der Wohnkosten.

Im konkreten Fall hatte das Jobcenter das Haus nach dem Auszug des dritten Kindes für unangemessen groß erklärt. Für vier Bewohner eines Eigenheimes seien nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz noch 130 Quadratmeter geschützt gewesen, zuletzt für drei Personen aber nur noch 110 Quadratmeter. Das Haus sei als verwertbares Vermögen anzusehen und falle auch nicht unter das Schonvermögen. Das Haus hat demnach einen Wert von rund 132 000 Euro.

Das BSG folgte der Auffassung des Jobcenters: Damit müssen die Kläger ihr Heim verkaufen und von dem Erlös leben. Einen Auszug schrieb das BSG den Klägern allerdings nicht vor. Um die Zeit bis zum Verkauf des Hauses zu überbrücken, kann das Jobcenter die Leistungen weitergewähren - allerdings nur als Darlehen.

Die Kläger hatten geltend gemacht, dass sie das Haus selbst gebaut hatten und es damals angemessen gewesen sei. Dieser Auffassung folgte das Gericht nicht: Entscheidend seien die aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse.

Einen besonderen Härtefall durch den Verkauf des Hauses konnten die Kasseler Richter ebenfalls nicht erkennen. Für die Familie heißt das nun vermutlich umziehen. Das erlöste Geld müssen sie solange für ihren Lebensunterhalt ausgeben, bis es den im Sozialgesetzbuch festgelegten Vermögensfreibetrag nicht mehr überschreitet. Erst dann können sie wieder Hartz-IV-Leistungen beantragen.

Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, kritisierte gegenüber »nd« die nun juristisch gestützte Praxis: Während für Reiche hierzulande kaum Regeln gälten und das Steuerrecht sie bevorzuge, würden Menschen, die auf Hartz IV angewiesen seien, »nach allen Regeln der Kunst schikaniert und gezwungen, alles aufzugeben, was sie haben«. Ob das Vorgehen für die Behörden wirklich Geld spare, sei dabei offensichtlich zweitrangig. Ob eine Mietwohnung nämlich wirklich billiger ist als die Betriebskosten eines abgezahlten Eigenheimes, dürfte fraglich sein.

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