Höllenhund

Wohin man auch guckt, überall in Deutschland wird hemmungslos gehasst. So auch im Berliner Straßenverkehr.

Sie kommt einem vor wie der Höllenhund, der soeben von der Kette gelassen wurde, die zunehmende Hemmungslosigkeit, mit der in Deutschland wieder öffentlich gehasst wird. Gehasst werden darf, ohne dass einer mal Stopp drückt. Carolin Emcke bekam am Sonntag den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für ihren Essay »Gegen den Hass«. Emcke schreibt darin vor allem über Fremdenhass. Clausnitz, Heidenau, Bautzen, es ginge lange so weiter.

Das ist die eine beschissene Seite des Hasses, der wohl zum Naturzustand gehört, die andere ist diese passiv aggressive Wut, mit der inzwischen jeder ungeniert hausieren geht. Kulminationspunkt des Ganzen war und ist schon immer der Straßenverkehr. Was früher tadelnden Rentnern überlassen war (Fahrradfahrer auf dem Gehweg vom Fahrrad zerren), greift nun auch auf die einst so beherrscht lebenden Frauen über. Da wird auf dem Radweg hemmungslos in den Arm geboxt, wenn einer von der Seite den Weg kreuzt oder auch mal abgestiegen und rumgepöbelt, obwohl eigentlich nichts passiert ist.

So wie letztlich, als eine sehr sympathisch aussehende Frau, Ende 40, auf ihrem Fahrrad die Straße entlang gefahren kommt und man selbst erst kurz vor ihr stehen bleibt, weil man sie zu spät gesehen hat. »So was wie Sie läuft sonst immer einfach weiter«, schreit sie einem rückwärtsgewandt noch zu.

In einem kurzen Satz das ganze Elend: »So was wie Sie« und »sonst immer«. Es entlädt sich also zweierlei: Der seit Jahren kultivierte Hass der Generationen und die Überraschung, dass die Abneigung gegen die Welt, wie man sie kennt, nicht in jedem Fall funktioniert. Endlos aus der Fassung war die Frau dann nach der, zugegeben snobistischen Frage, warum sie denn so aggressiv drauf sei. »Schaffen Sie sich erst mal Kinder an«, war die Antwort.

Liebe mittelalte Berlinerin auf der Erich-Weinert-Straße, wir müssen reden.

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