»Sveamaus«-Memes: Die Rache der Millennials

Die Memes von »Sveamaus« auf Instagram sollen klassistisch sein. Wer das behauptet, hat ihre Message nicht verstanden

»Sveamaus« schaut gerne in deutsche Wohnzimmer.
»Sveamaus« schaut gerne in deutsche Wohnzimmer.

Zu sehen ist Deutschland in a nutshell: hünenhafte Schrankwände, Eierlikörchen aus dem Waffelbecher, Veloursledercouches in allen erdenklichen Mustern, Fliesentische, Duftkerzenarrangements, Wandtattoos, karierte Kurzarmhemden. Zu den Fotos sind gehässige Sprüche montiert. Die meisten dieser Memes gehen so: »Den Tisch hochfahren, um die Rezepte bei ›Volle Kanne‹ mitzuschreiben« oder »Hier über die Witze von ›Schuh des Manitu‹ lachen«. Es geht aber auch eine Nummer härter: Über einem Wohnzimmerarrangement aus Sitzgarnitur und Glasvitrine steht: »So was kommt mir nicht ins Haus« sagen, wenn kurz Ausländer im Fernsehen zu sehen sind oder »Hier deutsche Erbeeren essen«.

Svea Mausolf, die auf Instagram »Sveamaus« heißt, und dort über 300 000 Follower*innen hat, ist 1993 geboren und macht sich auf ihrem Account vor allem über den deutschen Durchschnittsboomer lustig. Manche Memes sind zynischer Ageism, etwa wenn über einem verwackelten Bild eines Kronleuchters steht »Das Letzte, was man vor dem Herzinfarkt sieht«, oder das Foto einer Sitzgruppe überschrieben ist mit »Darmverschluss«, »Fettleber«, »Bluthochdruck«. Das ist hochgradig gehässig, aber eben auch sehr lustig, wenn man nicht gemeint ist und vielleicht sogar noch aus derselben Generation wie Mausolf stammt. Man teilt mit ihr die Erfahrung des Aufwachsens in diesem Mobiliar und selbst wenn nicht, dann hatte man mindestens drei Freunde, in deren Fliesentisch-Wohnzimmern man bei den Eltern einen Passierschein beantragen musste, um im Kinderzimmer verschwinden zu dürfen. Für Millennials sind Sveamaus’ Memes Katharsis allererster Güte.

Für Millennials sind Sveamaus’ Memes Katharsis allererster Güte.

Aber das Internet wäre natürlich nicht das Internet, wenn es nicht mindestens einen gäbe, der bei ihr den Klassenstandpunkt vermisst. Mausolf und alle, die ihre Posts unreflektiert feiern, so die Kritik, sind dem für ihr Milieu typisch neoliberalen Distinktionsfetisch verfallen. Wie immer, wenn Linke ein Problem mit Humor haben, lautet die Anklage: Klassismus! Mausolf gehe es nicht um Gesellschaftskritik, sondern schlicht um ein Treten nach unten. Hier machen sich mehrheitlich liberale Millennials in ihren stylischen, wohl ausgewähten Wohnzimmereinrichtungen über die Geschmacklosen lustig, lautet der Vorwurf. Es gehe »Sveamaus« gar nicht darum, beispielsweise Rechtsextremismus anzuprangern, sondern vornehmlich lacht man hier gemeinsam über die stillosen Zurückgebliebenen in ihren kleinbürgerlichen, schlecht eingerichteten Hamsterkäfigen.

Diese Kritik ist naheliegend, wirkt aber konstruiert, wenn man sich nie mit Mausolfs Biografie beschäftigt hat oder den sich mittlerweile abzeichnenden Generationenkonflikt zwischen Boomern und ihren Kindern nicht wenigstens zur Kenntnis nehmen will. In Mausolfs Memes geht es nicht um Geschmack, wer ihr vorwirft, sie mache sich mit Fotos von Schrankwänden, Fliesentischen und Velourcouches lediglich über Ästhetik lustig, will ihr absprechen, wütend sein zu dürfen.

Sveamaus’ Bilder sind Metaphern für geistige Enge, Konformitätsdruck, Rassismus und Homophobie. Statt der Einrichtung aus dem Höffner-Katalog hätte sie für ihre Memes natürlich auch den von Manufaktum nehmen können. Aber darum geht es ihr ja nicht, sondern ihre Anklage richtet sich an die Mehrheitsgesellschaft und die ist unakademisch, wohlhabend, aber nicht reich, mittelalt und weiß. Natürlich passt der Spruch: »Hier über Witze aus ›Der Schuh des Manitu‹ lachen« auch zu einem Esstisch aus Kirschholz, Korbgeflecht-Freischwingern und Wagenfeld-Leuchte, aber damit trifft sie nicht die, die sie treffen will. Svea Mausolf ist in eben jener Fließentischromantik in Frankfurt (Oder) aufgewachsen. Sie klagt ein Milieu an, aus dem sie zeitlebens Ablehnung und Verletzungen erfahren hat; auch wegen ihrer Homosexualität. Wie sie selbst in Interviews sagt, sind die homophoben Sprüche, die sie über ihre Memes von Männern in karierten Kurzarmhemden schreibt, eben von genau solchen Männern gesagt worden. »Für mich ist der weiße heterosexuelle Boomer immer noch ein Aggressor«, sagte sie mal in einem Interview.

Ihren Groll künstlerisch umzusetzen, der dann auch noch von Hunderttausenden gefeiert wird, ist nicht klassistisch. Es ist ja das drängende Bedürfnis von Kunst, sich den eigenen Wunden zu widmen und diese zu heilen. Dass sie dafür vielleicht auch von Millenial-Akademikern gefeiert wird, ist kein Ausdruck einer »Verachtung für die Boomer« (Jacobin), sondern resultiert auch aus dem gemeinsamen, inzwischen recht kritischen Blick dieser Generation auf ihre Erziehung, egal welchen Milieus. Es ist sozusagen die Rache für jedes »Jetzt hab dich mal nicht so, tut doch gar nicht weh«, »der Martin ist ein Jahr jünger als du und pullert sich aber nicht mehr ein« oder »solange du mich damit nicht ansteckst«.

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In Mausolfs Memes materialisieren sich die Mikro- und Makroverletzungen einer Kindheit und Jugend, in der Beschämen und Bestrafen noch als legitime Mittel galten – oft waren sie Ausdruck von Hilflosigkeit –, um Kinder das Funktionieren in der Erwachsenenwelt beizubringen. »Uns hat’s doch auch nicht geschadet«, sagt dann Jörg in ebenjenem ikonischen Kurzarmhemd, wenn es um die Aufarbeitung seiner Elternschaft geht. Man betrachtet Mausolfs Memes und denkt: Ja doch, Jörg, sonst würden deine Kinder ja nicht über diese Memes so sehr lachen müssen, dass es ihnen fast im Hals stecken bleibt.

Ihre Kunst sei nicht mehr als pubertäre Trotzigkeit und daher eben substanzlos und per se unpolitisch, heißt es von den Kritikern, die verkennen, dass solch gehässigen Memes identitätsstiftend für diejenigen sein können, denen der Mut oder die Kraft fehlt, um mit den Eltern über ebenjene Verletzungen (wieder und wieder) ins Gespräch zu kommen. Ein bisschen Traumabewältigung wird ja wohl erlaubt sein. Welch absurde Idee überhaupt, dass Kunst einen Auftrag haben sollte.

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