Viele Yasuní sind möglich: Wie das Öl im Boden bleiben kann

Alberto Acosta setzte sich als ecuadorianischer Energieminister dafür ein, nicht alle Rohstoffe des Regenwaldes auszubeuten. Obwohl die Initiative scheiterte, bleibt sie ein Vorbild.

  • Alberto Acosta
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Atmosphäre darf nicht mehr ungestraft verkohlt werden. Wir haben es mit einer Bedrohungslage zu tun. Es kann einfach nicht weiter versteckt werden, dass die Erderwärmung Millionen von Menschen auf der Erde und diese selbst bedroht. Eine lange Liste von Studien belegt, dass diese Realität täglich größer wird. Sogar die Internationale Energiebehörde empfiehlt zwei Drittel aller fossilen Brennstoffvorkommen in der Erde zu lassen, will man eine ökologische und soziale Katastrophe noch abwenden. Angesichts der wachsenden Schwierigkeiten sind konkrete Alternativen allerdings rar gesät. Dafür reicht ein Blick auf die unzureichenden konkreten Vorschläge des Pariser Klimaabkommens.

Gerade vor diesen Szenarien bleibt diese Idee weiter am Leben: keine Förderung von Erdöl im Amazonas-Regenwald. So hat es einst ein kleines Land wie Ecuador gefordert. Die ganze Welt war damals überrascht von diesem revolutionären Vorschlag, geboren aus der Zivilgesellschaft und ihrem Kampf gegen den Erdölmulti Texaco, der heute Chevron-Texaco heißt. Und auch das überraschte die Welt: man wollte Alternativen für den Aufbau einer nach-fossilen Wirtschaft. Bis heute stellt sich angesichts des Vorschlags Verblüffung ein, einen großen Teil des Erdöls im Tausch gegen einen internationalen Finanzbeitrag im amazonischen Boden zu belassen.

Eine Idee übrigens, auf die niemand Urheberschaft erhebt. Der Vorschlag erschien wahnsinnig. Schließlich ging es um die Zukunft eines Landes, das süchtig und abhängig vom Erdöl ist. Umso erstaunlicher, dass diese scheinbar unsinnige Idee stärker und stärker wurde und immer mehr AnhängerInnen sich hinter den Vorschlag versammelten.

Schritt für Schritt wurde aus der Idee ein Plan: Ecuadors Präsident Rafael Correa nahm die Initiative zu Beginn seiner Amtszeit (2007) auf. Und machte sie zu seiner Regierungspolitik, nachdem das Vorhaben von mir als damaliger Energie- und Bergbauminister dem Ministerkabinett vorgeschlagen worden war. Von Beginn an hatte die Yasuní-ITT (Namen der Erdölvorkommen im Nationalpark Yasuní: Ishpingo, Tambococha und Tiputini) seine Gegner. Es galt zu warten. Wir wussten, dass ein Erfolg auf nationalem und internationalen Parkett schwierig werden würde, weil dort die Interessen der Erdölfirmen den Ton angeben. Und diese würden alle Hebel in Bewegung setzen, um revolutionäre Vorstöße wie unsere einzuhegen oder zu vernichten. Trotz aller Widerstände nahm die Idee an Fahrt auf.

Hatte die Initiative zuerst großen Rückhalt in Ecuador, so wuchs die Unterstützung auch im Ausland. Hier muss die Rolle des deutschen Parlaments unterstrichen werden. Im Juni 2008 sprachen sich die VertreterInnen aller Bundestagsfraktionen für das Vorhaben aus und forderten die Regierung in einem gemeinsamen Antrag zur Unterstützung auf. In der ersten Amtszeit von Kanzlerin Angela Merkel wurden Studien zur Umsetzung der Initiative finanziert. Nur am Rande: Hier wurden wir Zeugen einer komplexen Suche nach Möglichkeiten, wobei solche Figuren nicht fehlten, die an den falschen Lösungen des Kyoto-Abkommens und der perversen Merkantilisierung der Natur festhielten.

Richtig ist, dass die offizielle deutsche Hilfe, und die durch Teile der Zivilgesellschaft in Deutschland, entscheidend war für den Fortgang der Initiative. Hingewiesen werden muss aber auch auf den großen Schaden, den der damalige Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) der Yasuní-ITT-Initiative mit seinem Dolchstoß zufügte, als er im September 2010 beschloss, die Unterstützung Deutschlands zu beenden. Der Minister missachtete ein Mandat des Bundestages. Bis heute wissen wir nicht, ob hinter seiner Entscheidung auch ein Meinungswechsel von Frau Merkel stand.

Doch auch das Fehlen einer klaren politischen Strategie der Regierung Ecuadors erklärt das Schwinden der internationalen Unterstützung. Nach einem langen Hin und Her, viel Durcheinander und Widersprüchen entschied Präsident Correa schließlich, dem Druck der Erdöl-Interessen nachzugeben. Sein Wirtschaftskurs war auf immer mehr staatliche Einnahmen angewiesen. Und so erklärte Correa in einer landesweiten TV-Schalte am 15. August 2013, das Erdöl der ITT-Felder zu fördern. An der revolutionären Initiative hatte er sich überhoben. Correa ließ die Welt im Stich, wie es der große Wirtschaftsökologe und jüngster Leontief-Preisträger Joan Martínez Alier treffend formulierte.

Später verweigerte Ecuadors Regierung, kurz vor dem UN-Klimagipfel in Lima Ende 2014, einer Delegation des Bundestages die Einreise. Die UmweltpolitikerInnen wollten sich über den Stand der Explorationsarbeiten im Yasuní informieren. Auch wollten sich die ParlamentarierInnen mit VertreterInnen des Yasuní-Kollektivs treffen. Die AktivistInnen hatten eine Volksabstimmung gegen die Ausbeutung des Erdöls in der Region vorgeschlagen, was durch schweren Betrug der Nationalen Wahlbehörde, die direkt von der Correa-Regierung kontrolliert wird, verhindert wurde.

Die reichsten Länder müssen den Großteil der Kosten für die notwendigen Maßnahmen zum Kampf gegen den Klimawandel tragen. Denn sie sind die größten Verantwortlichen der schweren Umweltprobleme: Die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung stoßen fast 50 Prozent aller Klimagase aus. Vor diesem Hintergrund wird auch die Logik der internationalen Entwicklungszusammenarbeit infrage gestellt. Die Unterstützung der Yasuní-ITT-Initative kann nicht nur als Teil der Entwicklungshilfe verstanden werden.

Das alles aber war nicht umsonst. So oder so hat die Initiative neue Diskussionen möglich gemacht, besonders solche über post-extraktivistische Strategien. Um zu verhindern, dass noch mehr CO2 ausgestoßen wird oder die Umwelt durch den Mega-Bergbau zerstört wird, müssen Ideen wie Yasuní-ITT vertieft werden. Gute Beispiele für laufende Diskussionen ist die Debatte um die Nicht-Förderung von Erdöl und Mineralien im Niger-Delta, auf den Lofoten-Inseln in Norwegen, die San-Andrés-Inseln, in der Tolima-Region oder San Martín del Cesar in Kolumbien, Lanzarote auf den Kanarischen Inseln oder der Madidi-Nationalpark in Bolivien. In Europa und Nordamerika gibt es Kämpfe gegen Fracking. In Indien wird gegen Bergbau Widerstand geleistet, wo Bauxit-Vorkommen in Nayamgiri Hill in Odisha im Boden bleiben, weil der Berg für die Dongria Kondh-Indigenen heilig ist. So wie es der Wirikuta-Berg für die Huichol und Wixárika in Mexiko ist.

Wir müssen kurzsichtige und egoistische Vorstellungen überwinden und an die Welt für unsere Enkel und Enkelinnen denken. Wir müssen weiter kämpfen: Viele Yasunís sind möglich!

Übersetzung: Benjamin Beutler

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