»Überhöhte deutsche Repräsentanz«

Vor dem Berliner Kongress im Dezember: Wer führt in Zukunft die Europäische Linkspartei? Und wie soll die EL künftig aus der Schwäche herausfinden?

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Mitte Dezember wird in Berlin die Europäische Linkspartei, kurz: EL, tagen - und man darf sagen, bei dem Kongress geht es um viel. Entweder, so ein Spitzengenosse aus der LINKEN, schaffe das aus derzeit über 30 europäischen Organisationen bestehende Bündnis die Wende hin zu spürbarerer Relevanz oder ihr drohe das Versinken in Bedeutungslosigkeit.

In einem internen Papier der Linkspartei-Vertreter im EL-Vorstand wird nicht nur auf die »sehr unterschiedlichen Haltungen« der Mitglieder zu politischen Fragen verwiesen. Auch heißt es, der EL gelinge es nicht, »schnell auf politische Entscheidungen zu reagieren« - also handlungsfähig und sichtbar zu sein. Deshalb wird auch eine Neufassung des Status beraten. Derzeit werden die EL-Strukturen evaluiert; diese seien für eine stärkere Profilierung »nicht besonders förderlich«.

Eine weitere heiße Frage: Welche Rolle kann bei der Profilierung ein neues Gesicht an der Spitze spielen? Im September hatte der LINKE-Vorstand dem Bundesausschuss empfohlen, die Bewerbung von Gregor Gysi als EL-Vorsitzender »zu unterstützen«. Das Votum fiel mit rund 60 Prozent nicht gerade hoch aus. Der Bundesausschuss, dem die Wahl der Linkspartei-Vertreter in den EL-Gremien obliegt, verschob kurz darauf seine Empfehlung auf November.

Dass Gysi den Job übernehmen möchte, kann als sicher gelten. Zuletzt hat er sich auch öfter als sonst schon europapolitisch zu Wort gemeldet. Dagegen hat eigentlich niemand etwas. Dennoch ist Skepsis laut geworden. Der Bundesausschuss will in der Frage »kein Abnickorgan« sein, hört man. Eine andere Sorge, die geäußert wird, lautet: Mit Gysi als EL-Chef könnte der Eindruck entstehen, die deutschen Linken würden versuchen, ihre Rolle »innerhalb der Europäischen Linken hegemonial auszubauen«, da auch die Europafraktion mit Gabi Zimmer von einer Deutschen geführt wird und Diether Dehm Schatzmeister der EL ist.

Auch der Ältestenrat der Linkspartei warnte, in der EL-Führung sollte »überhöhte deutsche Repräsentanz nicht angestrebt werden«. Der Kongress in Berlin finde »in einer Zeit tiefer Krisen in der EU und tiefer Gegensätze in Europa statt. Dabei bleibt die Europäische Linke trotz mancher Anstrengungen sehr beachtlich hinter den vor ihr stehenden Herausforderungen zurück«, so die Altvorderen der Linkspartei. Und: »Die Vielfalt aller EL-Parteien sollte stärker als bisher zur Geltung kommen«, was ein Fingerzeig in Richtung der unterschiedlichen Haltungen zu EU und Euro ist.

Eine Rolle spielt nämlich auch, dass in nicht wenigen EL-Mitgliedsparteien die Skepsis gegenüber EU und Euro und damit die Neigung größer ist, sich »Lexit«-Überlegungen anzuschließen – also einer Politik, die jenseits von EU und gemeinsamer Währung eine Hoffnung sieht. In der Mehrheit der deutschen Linkspartei wird das als Irrweg betrachtet.

Im September erklärten zudem die Vorsitzenden der ostdeutschen Landesverbände zur Frage des EL-Vorsitzes, »Gysi kann in schwierigen Zeiten das Richtige tun«. Er sei »ein überzeugter Europäer. Und dennoch oder vielmehr genau deswegen scheut er sich nicht, die EU, europäische Akteure oder politische Entscheidungen deutlich zu kritisieren, wenn sie aus seiner Sicht in die falsche Richtung gehen und die europäische Idee in Frage stellen«, so die Bewerbungsunterstützung aus dem Osten.

Und, gewissermaßen kann man das als vorgezogene Antwort der Ost-Landeschefs auf die Sorge vor »überhöhter deutscher Repräsentanz« ansehen, es wird auch argumentiert, dass gerade ein deutscher Linker an der Spitze der EL ein Signal sein könne - dass im Zentrum der Austeritäts-EU, in Berlin also, auch andere Kräfte politisch aktiv sind als die Freunde des angewandten Neoliberalismus und des deutschen Exportnationalismus. Man könne »zeigen, dass Angela Merkel und Wolfgang Schäuble nicht allein sind in Deutschland, ihr Weg für die Europäische Union nicht unwidersprochen bleibt«.

Klar ist: Ein anderer Kandidat für die Nachfolge des Franzosen Pierre Laurent drängt sich derzeit nicht unbedingt auf - oder würde an den internen Imponderabilien der EL scheitern. Die südeuropäischen Länder haben zwar Ambitionen aber wie man hört auch Schwierigkeiten, sich auf gemeinsame Personalien zu verständigen. Alternative Kandidaten haben bereits abgewunken.

Der frühere Linksfraktionschef im Bundestag plädiert derweil bei jeder Gelegenheit für einen »Neustart« der EU. Die Union müsse sozialer, demokratischer, transparenter werden. Und Gysi sagt: dass dies schwierig ist, sei kein Grund, es nicht zu versuchen. Ein bisschen gilt das auch für die EL.

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