Ausgebeutete Natur

Beim Alternativgipfel vernetzen sich Aktivisten aus aller Welt

  • Eva Mahnke, Marrakesch
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Gegensatz zum hektischen Treiben auf der UN-Klimakonferenz geht es beim Alternativgipfel der sozialen Bewegungen auf dem Campus der Cadi-Ayyad-Universität von Marrakesch ruhig und beschaulich zu. Studenten und kleine Grüppchen von Gästen schlendern in der Sonne zwischen rötlichen Gebäuden, Bäumen und kleinen Hecken entlang. Die viertägige Veranstaltung, die am Montag begann, wird von der Marokkanischen Koalition für Klimagerechtigkeit organisiert.

»Der Klimagipfel ist eine Gelegenheit, aktiv zu werden und den sozialen Kämpfen für eine klimagerechte Welt in Afrika, im Mittelmeerraum und weltweit eine Stimme zu geben«, heißt es im Programmheft. Tatsächlich ist das Publikum sehr international; vor allem aus afrikanischen Ländern sind Klimaaktivisten, Frauenrechtlerinnen, Gewerkschafter und Vertreter indigener Gruppen da. Anders als beim Alternativgipfel vor einem Jahr in Paris, der von einer sehr jungen Aktivistenszene dominiert war, sind die Altersgruppen hier sehr gemischt.

Das Programm umfasst täglich mehrere größere Panels und rund 250 Workshops, kleinere Diskussionsveranstaltungen und Vernetzungstreffen. Es geht um die Folgen des Klimawandels in einzelnen Regionen, um Genderfragen, Energiedemokratie, Ernährungssicherheit, Bildung und um Entwicklungsperspektiven. Der »Espace Autogéré«, der selbstverwaltete Raum, soll der Ort sein, an dem die Themen diskutiert werden können, die auf dem UN-Verhandlungsparkett viel zu kurz oder gar nicht erst zur Sprache kommen.

Zum Beispiel geht es um den verheerenden Einfluss von Freihandelsabkommen, die vieles von dem konterkarieren, was beim UN-Klimagipfel verhandelt wird. »Die Verfechter von Freihandel wollen uns glauben machen, dass dieser zu Wachstum und Wohlstand sowie automatisch zu mehr Gleichheit, besserer Bildung und zu einem verbesserten Umweltbewusstsein führt«, sagt Najib Akesbi. Lebhaft gestikulierend ruft der Professor am Institut für Agrarökonomie in Rabat ins Publikum. Einige Teilnehmer auf den Rängen des Hörsaals »Amphi 1« tragen blaue Bänder, an denen der »Badge« hängt, der zeigt, dass sie auch für den UN-Gipfel akkreditiert sind. Eingeladen zu der Diskussion hatte das Réseau Euromed Maroc des Netzwerks O.N.G., dem Gewerkschaften, Umwelt- und Frauenverbände angehören.

»Wenn ich mir die Entwicklung in Marokko in den vergangenen Jahrzehnten ansehe«, so Ökonom Akesbi weiter, »zeigt sich: Der Freihandel hat vor allem den internationalen Konzernen Profite beschert, das Lohnniveau gedrückt und Marokko ein enormes Außenhandelsdefizit eingebracht.« Die nordafrikanischen Staaten sollten sehr viel stärker regional kooperieren, anstatt Freihandelsabkommen etwa mit der EU zu vertiefen. Aber nicht nur, weil sie soziale Rechte unterminieren und Ungleichheit vorantreiben, seien diese Abkommen verheerend. »Sie lassen auch den globalen Warenverkehr anwachsen, verstärken den Durst der Wirtschaft nach fossiler Energie und pushen den Konsum«, ergänzt die Französin Amélie Canonne von der Organisation AITEC. »Wir brauchen eine ganz andere Handelspolitik« Es dürfe nicht darum gehen, dass ein Land im Wettbewerb mit einem anderen Land besser dasteht. »Wir wollen eine Handelspolitik, die den Menschen nützt und die Bewegungen stärkt.«

Dazu gehöre auch, dass Gemeinschaften selbstbestimmt über ihren Energiemix entscheiden können. »Dagegen können Freihandelsabkommen Staaten die Möglichkeit verwehren, erneuerbare Energien gegenüber den klimaschädlichen fossilen Energien gesetzlich zu bevorzugen, und schützen damit die Interessen der multinationalen Rohstoffkonzerne«, so Canonne. »Was wir als soziale Bewegungen durchsetzen müssen, ist Energie-Souveränität.«

Die Organisatoren des Alternativgipfels sind überzeugt, dass man Umwelt- und soziale Fragen nicht losgelöst voneinander denken kann - das zeigt auch das Motto des Gipfels: »Eine Welt mit sozialer Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit ist möglich.« Funktionieren kann das aber nur, wenn das ökonomische Modell, auf dem die sozialen Ungerechtigkeiten und das ökologische Desaster in vielen Bereichen beruhen, grundlegend verändert wird. Deshalb ist der zweite Tag des Alternativgipfels dem Thema »Extraktivismus« gewidmet. Der Begriff bezeichnet Wirtschaftsmodelle, deren Wohlstand darauf aufbaut, die natürlichen Ressourcen auszubeuten, sei es durch private Konzerne oder Unternehmen in staatlicher Hand. Der Hörsaal ist brechend voll, immer wieder stecken Leute ihren Kopf durch die Tür und entscheiden sich zu bleiben. Viele bringen von zu Hause ihren ganz persönlichen Bezug mit, denn der Extraktivismus hat viele unterschiedliche Gesichter.

Auch die Sprecher auf dem Panel kommen aus den unterschiedlichsten Ecken der Welt und erzählen doch alle eine ähnliche Geschichte. Der Vertreter aus Kanada berichtet vom Widerstand gegen die Ausbeutung der Teersandvorkommen, ein Aktivist aus Portugal von der Bewegung gegen die Öl- und Gasförderung vor der Küste. Aber die Aufgabe der sozialen Bewegungen umfasst weit mehr als den Widerstand gegen neue fossile Infrastrukturen und Offshore-Plattformen. »Wussten Sie, dass Frankreich seinen Strom zu 80 Prozent in Atomkraftwerken erzeugt?«, fragt der Nigerianer Albert Wright. »Und dass das Uran hierfür aus Niger kommt, das Land aber sein Uran nicht anderweitig verkaufen darf?« Der 70-Jährige mit dem weißen Haar hat bis vor einigen Jahren als Physikdozent junge Ingenieure für den Uranbergbau ausgebildet. Nun engagiert er sich für die Organisation »Alternative Espaces Citoyens«. Obwohl Niger der drittgrößte Uranproduzent der Welt ist, zählt es zu den ärmsten Ländern. 60 Prozent der Bevölkerung müssen mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen. Wrights Thema ist deshalb nicht nur die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, sondern auch die postkolonialen Strukturen und die damit verbundene krasse Ungleichheit im Land.

»Um genau diese Fragen muss es auch auf dem UN-Klimagipfel gehen«, fordert Christian Adams aus Südafrika, der für die Fischerorganisation Coastal Links arbeitet. »Die Kämpfe in Kanada, Niger und Portugal haben alle miteinander zu tun«, redet er sich mit lauter Stimme in Rage. »Es geht um Öl und Gas und Kohle, aber es geht auch um die Ausbeutung der Fischvorkommen und um Landraub. Das ist das, was das kapitalistische System ausmacht.«

Wie aber dagegen vorgehen? Auch um die Frage, wie soziale Bewegungen Veränderung bewirken können, geht es wieder und wieder beim Alternativgipfel. »Wir müssen Allianzen schmieden«, fordert Adams. »Wir müssen die Gewerkschaften einbeziehen, die lokalen Gemeinschaften, die unter den Umweltauswirkungen leiden, und Jugendliche, deren Zukunft durch diese Projekte gefährdet ist.« Vor allem brauche es neue Allianzen, die über die regionale Ebene hinausgingen und die soziale Fragen und Umweltthemen eng miteinander verknüpften.

So beschaulich er auf den ersten Blick daherkommt - der Alternativgipfel während der UN-Klimakonferenz ist ein wichtiger Baustein für die Stärkung sozialer Bewegungen in der Region. »Das Thema Klimagerechtigkeit wird immer wichtiger für die marokkanische Zivilgesellschaft«, berichtet Abdelkarim Chafiai von der Koordination Maghrebinischer Menschenrechtsorganisationen. »In Marokko sind wir noch in der Phase, dass viele Organisationen Standpunkte austauschen und Netzwerke aufbauen. Jetzt muss es darum gehen, kontinuierlich weiterzuarbeiten.«

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