Mario Barths Post-Faktenwissen und die »Lügenpresse«

Die eingeschränkte Wahrnehmung des Komikers ist ein Beweis der Wirkungskraft von Internet-Filterblasen

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach der Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten waren viele Medien in den USA – aber auch hierzulande – in Erklärungsnot. Warum wurde ein Mann in das höchste Staatsamt gewählt, der nach allen Prognosen der Meinungsforschungsinstitute und von Journalisten die Wahl eigentlich hätte verlieren müssen? Eine der Erklärungen geht so: Die sogenannte Filterblase im Internet habe die »Experten« denken lassen, dass Trump verlieren werde.

Unter einer »Filterblase« wird folgendes verstanden: Internetdienste wie Google, Facebook oder Amazon stellen den Nutzern hauptsächlich jene Inhalte zur Verfügung, von denen sie ausgehen, dass sie ihre »Kunden« interessieren. Um diese Interessen zu ermitteln, laufen im Hintergrund Filteralgorithmen, deren Parameter ausschlaggebend für die Anzeige von Inhalten sind. Wer also beispielsweise vor allem auf linken Webseiten surft, bekommt von Facebook Seiten vorgeschlagen, die eine vergleichbare politische Ausrichtung haben. Bei Amazon funktioniert es im Prinzip ähnlich, nur dass hier die Suchanfragen bzw. die bislang getätigten Einkäufe Grundlage für Empfehlungen sind.
Die Kritik an dieser Art der selektierten Bereitstellung von Informationen ist, dass der Internetnutzer gar nicht wisse, dass ihm Inhalte gezeigt werden, die speziell für ihn gefiltert wurden. In den Blasen würden deshalb nur Menschen aufeinander treffen, die gleiche oder zumindest ähnliche Ansichten vertreten und sich hierdurch in der Annahme bestärkt sähen, ihre Meinung werde von einer Mehrheit geteilt.

Der angehende Kommunikationswissenschaftler Ben Thies bezeichnet die Annahme, dass die »Filterblasen« zur Erklärung von Prognose-Desastern taugen, allerdings als Mythos. Es sei unwahrscheinlich, dass politische Entwicklungen »allein den Filteralgorithmen zugeschrieben werden können«, schreibt er auf carta.info. »Zwar bedienen sich Presse und Blogs gerne der Filter Bubble als mystischem Begriff einer subtilen Machtstruktur im Internet, jedoch entbehren die Annahmen über negative Konsequenzen der Filter Bubble jedweder Empirie. Forschungsergebnisse hinsichtlich des Einflusses von Filteralgorithmen auf den Nachrichtenkonsum deuten eher darauf hin, dass sie das ideologische Spektrum erweitern, als es einzugrenzen. Die meisten Studien zu diesem Thema sehen den Hauptgrund für einseitigen Nachrichtenkonsum nicht in der algorithmischen, sondern in der psychologischen Filterung. ›Selective exposure‹ lautet das Stichwort: Individuen suchen sich unterbewusst bevorzugt Informationen, die mit ihren bestehenden Ansichten übereinstimmen. Diese Art der Filterung gab es bereits vor dem Internet, und sie äußerte sich beispielsweise in der Wahl der Tageszeitung.«

Dennoch sollte man die Macht der »Filterblasen« nicht unterschätzen. Wer sich zum Beispiel vornehmlich an den Sichtweisen des Komikers Mario Barth auf die Welt orientiert, der hat mittlerweile ganz offensichtlich das gleiche Faktenproblem wie sein Vorbild Barth. Jener war vor Wochenfrist in New York und hatte vorher in deutschen Zeitungen gelesen, dass es dort vor dem Trump Tower in Manhatten Demonstrationen gebe. Als Barth vor Ort war – soviel als Faktenwissen vorweg – war früher Morgen und die Demonstranten hatten sich schlafen gelegt. Zudem hatte sich der RTL-Komiker den »Veterans Day« für seinen Besuch ausgesucht, an dem eine Parade durch Manhatten zieht und die Straßen weiträumig abgesperrt sind. Mario Barth war dennoch der Überzeugung, von den deutschen Medien falsch informiert worden zu sein. Weit und breit, so seine Videobotschaft auf Facebook, sei kein Demonstrant zu sehen und er wisse gar nicht, woher die deutschen Medien ihre Demo-Bilder hätten.

Von vielen Internetnutzern wurde Barth auf seinen Irrtum hingewiesen. Seine Fans ließen sich davon aber nicht beirren, wie auf uebermedien.de dokumentiert ist. Mit Kommentaren wie »Mario Du bist der Größte (...) die Lästermedien so genial vorführen«, »Deutsche Medien sind der letzte Dreck – wie absolut genial von Dir,DANKE!« oder »Für alle die sich gerne von den Medien für blöd verkaufen lassen (…) Wenigstens ›ein‹ Promi der sich nicht verarschen lässt« jubelte sie ihrem Idol zu. Auch Heinz-Christian Strache, Bundesobmann der FPÖ, teilte Barths Video mit den Worten: »Mario Barth zeigt auf, wie uns diverse Medien für dumm verkaufen wollen (…) Es finden keine Massendemos vor dem Trump-Tower in New York statt.«

Mehr als 1,4 Millionen Mal wurde das Video auf Facebook mittlerweile angesehen, über 25.000 Mal wurde der »Gefällt mir«-Button gedrückt. Und Mario Barth selbst? Der sieht keinen Grund, seinen Irrtum zu korrigieren. »Seit 15 Jahren kriege ich auf die Fresse von der Presse«, entgegnete er vor wenigen Tagen via Facebook seinen Kritikern. Immer wieder werde ihm vorgeworfen, zu unpolitisch zu sein. »Jetzt bin ich einmal vorm Trump Tower und mach’ so’ne Nummer – und was passiert? Das soll auch wieder verkehrt sein.«

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