Wo verhungerte Rotarmisten bestattet sind

Die Namen sowjetischer Opfer des Kriegsgefangenlagers in Eisenhüttenstadt sollen öffentlich gemacht werden

  • Jeanette Bederke
  • Lesedauer: 3 Min.

Den Platz des Gedenkens findet nur, wer ihn sucht. Zwar liegt das etwa 900 Quadratmeter große Areal im Zentrum von Eisenhüttenstadt, aber versteckt in einem denkmalgeschützten Wohnkomplex, der seit der Wende nahezu ungenutzt und aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden ist. Kaum ein Passant macht sich die Mühe, den riesigen Granit-Obelisken mit dem Sowjetstern aus der Nähe zu betrachten. Eine verwitterte Inschrift lautet: »Ewiger Ruhm den Helden. Euer Andenken wird in Jahrhunderten nicht verblassen.«

»Eigentlich müsste er Platz des Vergessens heißen«, sagt der Berliner Historiker Axel Drieschner, der die Geschichte dieses Stadtraums für das Städtische Museum Eisenhüttenstadt aufarbeitete. Der Berliner hoffte, mit der Aufdeckung auch eine Debatte zur künftigen Gestaltung des seit der Wende brach liegenden Platzes anzustoßen. Doch Stadtplanerin Gabriele Hauboldt schüttelt nur bedauernd den Kopf, verweist einerseits auf den Denkmalschutz. Andererseits: »An einer Kriegsgräberstätte dürfen wir keine namhaften Veränderungen oder Umgestaltungen vornehmen. Da sind uns per Gesetz die Hände gebunden«, sagt sie. Tatsächlich schreibt das deutsch-russische Kriegsgräberabkommen vor, dass die Anlagen von allem freizuhalten seien, was mit ihrer Würde nicht vereinbar sei.

Das sei zu DDR-Zeiten weniger streng gesehen worden, erzählt Detlef Kirchhoff, der in den 1950er Jahren in die angrenzende Schule ging. »Das war der zentrale Platz für Veranstaltungen in der Stadt - vom Weihnachtsmarkt über Rockkonzerte und 1.-Mai-Kundgebungen bis hin zur feierlichen Vereidigung der Kampfgruppen«, erinnert sich der 75-Jährige. Im Winter entstand eine Eisbahn, auf der die Kinder Eishockey spielten. Immer wieder gab es auch feierliche Kranzniederlegungen auf dem damaligen Platz der deutsch-sowjetischen Freundschaft. »Als Schüler dachten wir, da liegen gefallene Sowjetsoldaten«, sagt Kirchhoff. Doch Historiker Drieschner hat herausgefunden: Links und rechts des Obelisken wurden mehrheitlich die sterblichen Überreste sowjetischer Kriegsgefangener bestattet. Mehr als 4000 von ihnen starben im Lager »Stalag III B«, 1939 errichtet in der Kleinstadt Fürstenberg, die heute ein Ortsteil von Eisenhüttenstadt ist. »Sie verhungerten oder starben an Seuchen, wurden in einem Massengrab in der Nähe des Lagers verscharrt«, hat der Historiker herausgefunden. Als Anfang der 1950er Jahre das Eisenhüttenkombinat Ost gebaut wurde, stießen Bauarbeiter auf die Gebeine, die schließlich in die entstehende Wohnstadt des Kombinats umgebettet wurden.

»Der Obelisk stand schon, als ich ab 1952 hier zur Schule ging. Der Platz davor war noch eine unbefestigte Sandwüste«, sagt Kirchhoff. Erst Ende der 1950er Jahre wurde daraus »die gute Stube« der ersten sozialistischen Stadt auf deutschem Boden, erinnert sich der Zeitzeuge. »Eigentlich ist es ein Friedhof, doch man sieht keine Gräber.«

Der Bevölkerung sei zu DDR-Zeiten bewusst verschwiegen worden, wessen sterbliche Überreste dort liegen, glaubt Drieschner. »Diese Opfergruppe passte nicht zum propagandistisch erwünschten Bild des heroischen und siegreichen Rotarmisten«, behauptet er. Später seien noch rund 100 Gebeine tatsächlich gefallener Soldaten zugebettet worden, die beispielsweise bei Deichbauarbeiten oder Feldbestellungen gefunden wurden. Erst seit fünf Jahren stehen zwei Gedenksteine am Rande des Industriegebietes, wo sich einst »Stalag III B« befand. Vor einigen Jahren bekam die Stadt eine Liste mit 3000 Namen von dort gestorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen aus russischen Archiven. Die Stadt schickte sie weiter an das Potsdamer Innenministerium, um mit Russland abzustimmen, in welcher Form die Namen öffentlich gemacht und so auch am Platz des Gedenkens an das Schicksal dieser Kriegsgefangenen erinnert werden kann. Laut Innenministerium werden die Unterlagen derzeit in der Russischen Botschaft geprüft. dpa

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