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Teuer, aber bezahlbar

Wie kann die Rente in Deutschland armutsfest gemacht werden? Dierk Hirschel versucht Antworten zu finden.

  • Dierk Hirschel
  • Lesedauer: 3 Min.

Die deutschen Gewerkschaften streiten für einen Kurswechsel in der Rentenpolitik. Ver.di, IG Metall & Co. wollen eine gesetzliche Rente, die vor Armut schützt und den Lebensstandard sichert. Ein höheres Rentenniveau - Standardrente nach 45 Jahren Durchschnittsverdienst - und die rentenrechtliche Aufwertung von Zeiten der Arbeitslosigkeit, Kindererziehung, Aus- und Weiterbildung sowie Pflege gibt es aber nicht zum Nulltarif. Ein zusätzlicher Rentenniveaupunkt kostet 5,2 Milliarden Euro. Eine Anhebung des Rentenniveaus von aktuell 47,9 Prozent auf 53 Prozent würde nach Adam Riese jährliche Mehrausgaben von rund 27 Milliarden Euro nach sich ziehen. Diese steigende Versorgungslast ist in Zeiten des demografischen Wandels unbezahlbar, behaupten die Arbeitgeberverbände und ihre wissenschaftlichen Helfershelfer.

Tatsächlich schrumpft und altert die Republik. Deswegen werden zukünftig immer weniger beitragzahlende Beschäftigte immer mehr Rentner versorgen müssen. Das Statistische Bundesamt sagt voraus, dass 2060 hierzulande nur noch 73 Millionen Menschen leben werden. Die arbeitsfähige Bevölkerung - Personen im Alter zwischen 20 und 65 Jahren - soll um zwölf Millionen schrumpfen. Heute versorgen drei Erwerbsfähige einen Rentner. In 44 Jahren kommen auf einen Rentner dann nur noch 1,6 arbeitsfähige Menschen.

Dieser demografische Wandel ist aber nichts Neues. Zwischen 1950 und 2010 halbierte sich schon einmal die Zahl der Erwerbsfähigen, die einen Rentner versorgen musste. Gleiches gilt für den Zeitraum von 1910 bis 1960. Damals zwang die höhere Versorgungslast die Älteren aber nicht dazu, den Gürtel enger zu schnallen. Im Gegenteil: Die Renten stiegen, ohne dass die Jüngeren ausgebeutet wurden.

Wie war das möglich? Die Lösung des Rätsels heißt Produktivitätsfortschritt. Drei Beschäftigte produzieren heute mehr als sechs Beschäftigte vor 60 Jahren. Technischer Fortschritt, eine bessere Unternehmensorganisation und höhere Bildung werden auch in Zukunft dafür sorgen, dass der einzelne Arbeitnehmer immer mehr Waren und Dienstleistungen erzeugen kann. Dank steigender Arbeitsproduktivität können wir auch in Zeiten demografischen Wandels einen höheren Wohlstand genießen.

Ein jährlicher Anstieg der Arbeitsproduktivität um 1,4 Prozent würde mehr als ausreichen, um die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft zu bewältigen. Dafür müsste nicht einmal die Erwerbsbeteiligung steigen. Die preisbereinigten Einkommen - reales Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung - würden bis 2060 um 70 Prozent wachsen. Kurzum: Die Produktivität schlägt die Demografie. Dadurch würde der Finanzierungsspielraum der gesetzlichen Altersvorsorge größer. Dieser Spielraum wird aber nur genutzt, wenn die Reallöhne mindestens genauso stark zunehmen wie die Produktivität. Denn die Rentenkassen finanzieren sich über Beiträge auf die Arbeitseinkommen. Folglich ist eine erfolgreiche Lohn- und Tarifpolitik gut für die Rente. Die Rentenfrage ist immer auch eine Verteilungsfrage. Allerdings verläuft der Konflikt nicht zwischen Jung und Alt, sondern zwischen abhängig Beschäftigten und Arbeitgebern.

Noch größer wird der Finanzierungsspielraum der gesetzlichen Rente, wenn es gelingt, mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Eine höhere Erwerbsbeteiligung verbessert das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern. Mehr sozial Versicherte, weniger Arbeitslose, mehr arbeitende Frauen und Zuwanderer erhöhen die Einnahmen. Deswegen sollte die gesetzliche Rente zu einer Erwerbstätigenversicherung ausgebaut werden, die alle Erwerbstätigen einbezieht.

Trotz alledem wird sich nicht vermeiden lassen, dass eine armutsfeste und lebensstandardsichernde Rente auch zu höheren Beiträgen führt. Ein Beitragssatzpunkt spült aktuell 13,5 Milliarden Euro in die Rentenkasse. Ein Rentenniveau von 53 Prozent - das entspricht Mehrkosten von 27 Milliarden Euro - könnte folglich durch zwei zusätzliche Beitragssatzpunkte finanziert werden.

Für einen Beschäftigten mit 2500 Euro brutto bedeutet diese Beitragserhöhung bei paritätischer Finanzierung eine monatliche Mehrbelastung von rund 25 Euro. Höhere Beiträge werden aber akzeptiert, wenn die Nettolöhne steigen und als Gegenleistung eine armutsfeste und lebensstandardsichernde Rente winkt. Für viele Beschäftigte sinkt zudem die Gesamtbelastung, da sie künftig nicht mehr privat vorsorgen müssen. Ein Kurswechsel in der Rentenpolitik ist also teuer, aber bezahlbar.

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