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Nähe ohne Annäherung
Melanie Jaeger-Erben über das Schenken an Weihnachten
In den vergangenen zwei Jahren habe ich zur Weihnachtszeit über Dinge geschrieben. Über zu viele Dinge, über falsche Dinge, über Dinge, die nerven. Über die Hölle des Plunders, die von Weihnachten bisweilen übrigbleibt, und über Adventskalender, die eine 24-Tage-Bescherung simulieren. Konsumkritik geht immer, gerade in Anbetracht der enormen Ökobilanz von eigentlich besinnlichen Feiertagen, ist aber zugegebenermaßen auch etwas denkfaul. Denn das Problem des weihnachtlichen Schenkens erschöpft sich nicht im Materialismus. Daher möchte ich dieses Mal weg von der Frage, wie viel wir schenken, hin zu der Frage, warum wir schenken.
Schenken ist in der Konsumgesellschaft eine hochgradig überformte soziale Handlung. Kaum etwas ist so durchdesignt, Effizienz-getrimmt und materialistisch aufgeladen wie der Moment, in dem wir einander Nähe, Dankbarkeit oder Zuneigung ausdrücken wollen. Der Markt stellt uns dafür nicht nur Dinge bereit, sondern Bedeutungen. Er macht Schenken bequem und ermöglicht es, Symbolik einzukaufen, statt sie selbst hervorzubringen: Dieses Produkt steht für Fürsorge, jenes für Liebe, ein anderes für Wertschätzung. Und über allem das Logo: Viel hilft viel.
Prof. Melanie Jaeger-Erben lehrt Technik- und Umweltsoziologie an der Brandenburgischen TU Cottbus-Senftenberg.
Der Philosoph Gernot Böhme hat in seinen Ausführungen zum »Ästhetischen Kapitalismus« zwischen Bedürfnissen und »Begehrnissen« unterschieden: Bedürfnisse bezeichnen, was Menschen tatsächlich brauchen, um gut zu leben, materiell, sozial, existenziell. Begehren hingegen wird kulturell und ästhetisch erzeugt; es richtet sich auf Dinge, die mit Bedeutungen aufgeladen sind. Die moderne Konsumgesellschaft ist weniger darauf aus, Bedürfnisse zu befriedigen, als Begehren zu produzieren. Geschenke sind dabei ein besonders sensibles Feld: Sie sollen nicht nur nützlich sein, sondern Gefühle transportieren.
Warum aber scheint es so viel einfacher, diese vorgefertigten Symbole zu übernehmen, als über die Beziehung zu einer konkreten Person nachzudenken? Als sich empathisch anzunähern an das, was sie wirklich braucht – nicht nur materiell, sondern existenziell? Vielleicht, weil genau dieses Nachdenken Zeit braucht. Und weil es uns mit etwas konfrontiert, was wir in all dem Stress gerne vermeiden wollen: mit dem Risiko, mit einem lieb gemeinten Geschenk danebenzuliegen; mit der Begrenztheit des eigenen Wissens über das Gegenüber; mit der Angst vor Enttäuschung. Dann doch lieber schnell was bei Amazon. Schenken wird so zu einer paradoxen Praxis: hoch emotionalisiert und zugleich entpersonalisiert. Es soll Nähe herstellen, ohne sich annähern zu müssen.
Dabei könnte Weihnachten gerade das Gegenteil sein: eine Einladung, über Beziehungen nachzudenken. Und zwar nicht nur über die zu den Menschen, die wir beschenken wollen, sondern auch über all jene, die in diesen Geschenken mit anwesend sind, ohne je unter dem Baum zu sitzen. Die Arbeiterin in der Lieferkette. Die Landschaft, aus der die Rohstoffe stammen. Die Energie, die Produktion und Transport antreibt. Auch sie sind Teil dieser Beziehung, wenn auch einer, über die wir überhaupt nicht gerne nachdenken.
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