Merkels Maß und Mitte

Claus Dümde über die Alternativlosigkeit Angela Merkels als Kanzlerkandidatin der Union 2017

  • Claus Dümde
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach elf Jahren als Bundeskanzlerin hat Angela Merkel noch nicht genug. Sie will weitermachen. Bis 2021. Das hat sie am letzten Sonntag vor Advent, dem lange geheim gehaltenen »geeigneten Zeitpunkt«, verkündet. Verlängerung nicht ausgeschlossen, wie sie eine neugierige Journalistin wissen ließ.

Hält sich die Kanzlerin für alternativlos? Vielleicht. Führt man sich das für dieses Amt infrage kommende Personal, nicht nur von CDU und CSU, vor Augen, könnte man das sogar verstehen. Ebenso mit Hilfe von Demoskopie und Kopfrechnen. Denn nach allen aktuellen Umfragen hätte ein von Merkel im ARD-Interview als »Anfechtung von links« geadeltes rot-rot-grünes Bündnis im nächsten Bundestag nicht mal mehr rechnerisch eine Mehrheit. Selbst wenn sich Seeheimer Kreis der SPD und Kommunistische Plattform der Linken wundersam auf historische Kompromisse einigen könnten. Gar nicht zu reden von den Grünen …

Natürlich hat Interviewerin Anne Will die Kanzlerin gefragt, warum sie sich eine vierte vierjährige Amtszeit als Regierungschefin antun will - trotz deutlich sinkenden Umfragewerten, hasserfüllten Plakaten und Sprechchören »Merkel muss weg!« von Rechtsaußen, dazu die spätpubertären Rüpeleien aus der bayerischen »Bruderpartei« CSU. Merkel antwortete in klassischem Politikersprech: »Die Frage ist, was kann ich dem Land, was kann ich meiner Partei, der CDU, geben? Und was bedeutet das auch für mich persönlich?«

Alle Nachfragen Wills konnten Merkel nichts Konkretes darüber entlocken, was sie nach eigenem Bekunden monatelang »hin und her abgewogen« habe. Sie wolle »dem Land noch etwas Neues geben«, dessen »sehr große Polarisierung in der Gesellschaft« sie beklagt. Es gehe darum, »eine Vorstellung zu entwickeln, was passiert von 2017 bis 2021 mit Deutschland und was kann ich mit meinen Überzeugungen und den der CDU dazu einbringen«.

Wenn Sprache Ausdruck der Gedanken ist, heißt das, die Politikerin, die unser Land seit 2005 regiert, will weiter vor sich hin »merkeln«: Abwarten, was kommt, dann, was alle anderen dazu sagen, schließlich, wenn’s gar nicht mehr zu vermeiden ist, auch mal etwas entscheiden. »Sie wissen, ich bin langsam …«

Für CDU und CSU ist Merkel trotzdem alternativlos. Sie haben derzeit wohl wirklich nur mit ihr als Kanzlerin eine Chance, an der Macht zu bleiben. Falls die SPD erneut Hilfestellung leistet. Deshalb wurde sie vom CDU-Führungszirkel gedrängt weiterzumachen. Und die bayerischen Stiefbrüder nahmen es zähneknirschend hin, dass sie ihre Bereitschaft dazu ohne deren Segen publik machte. Eigentlich wollten sie ihr zuvor ihre Forderungen für ein gemeinsames Wahlprogramm diktieren. Was Merkel verhinderte. Rache ist süß ...

Doch für Merkel bedeutet die erneute Kandidatur weit mehr: Sie muss im Herbst 2017 noch nicht abtreten. Als erste Bundeskanzlerin, die zunächst Hoffnungen vieler Wähler geweckt, aber dann enttäuscht hat, die von CSU-Chef Seehofer öffentlich abgekanzelt wurde und angepöbelt durch aufgehetzte Anhänger von AfD, Pegida und Konsorten. Die Zwangslage der Union, dass sie keinen anderen aussichtsreichen Kanzlerkandidaten hat, sieht Angela Merkel als Chance, ihr politisches Leben am Ende in einem milderen Licht erscheinen zu lassen.

»Ich werde doch jetzt nicht vor den Problemen davonlaufen«, sagte die Kanzlerin im ARD-Interview. Sie habe noch genug Kraft. Und viele Ideen, behielt sie aber für sich. Sie wolle »noch etwas tun für den Zusammenhalt in so einer polarisierten Gesellschaft«, versicherte Merkel, aber nannte nicht einmal die Ursachen beim Namen. Die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland ist nie so rasch gewachsen wie in den Jahren ihrer Kanzlerschaft. Ein Viertel aller Beschäftigten muss ihr Dasein als Niedriglöhner fristen. Den Abgehängten in diesem Lande, den Verängstigten, die um Arbeitsplatz und Rente bangen, hatte Merkel bei Will nichts als Phrasen zu bieten: »In Zeiten dramatischer Veränderungen müssen wir schauen, wie wir neue Antworten finden«, sagt sie. Durch eine »Politik von Maß und Mitte«.

Will oder kann Merkel nicht über den Schatten ihres Finanzministers Schäuble springen? In diesem Land, dessen arbeitende Menschen Jahr für Jahr mehr Reichtum schaffen, predigt er das Dogma der »schwarzen Null« für den Staatshaushalt, forciert zugleich die Umverteilung von unten nach oben - und bringt die Kanzlerin um ihre letzte Chance.

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