Den Spitzeln ist Russisch ein Rätsel

Verfassungsschutzchef verlangt deutlich mehr Mitarbeiter - wird sie aber nicht bekommen

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In Brandenburg soll es inzwischen mehr Islamisten als Verfassungsschützer geben. Rund 100 sollen es sein. Im Verfassungsschutzbericht 2015 war noch die Zahl 70 genannt. Das waren damals schon 30 mehr als im Jahr zuvor. Der brandenburgische Verfassungsschutz (VS) hat 90 Mitarbeiter und ihr Chef Carlo Weber jammert, das seien zu wenig. 125 müssten es mindestens sein. Immerhin befasst sich der Geheimdienst ja auch noch mit den 1230 Neonazis und den 490 Linksradikalen im Bundesland.

Verfassungsschützer klagen, sie könnten nicht alle Quellen auswerten, weil beispielsweise niemand da sei, der arabische oder russische Texte übersetze, und auch, weil einfach die Zeit dafür fehle. Man müsse deshalb aus dem Bauch heraus entscheiden, welche Information unter den Tisch falle. Vielleicht sei so ein Hinweis aber doch wichtig und das könnte fatale Folgen haben. Islamisten verübten in Brandenburg bislang keinen Anschlag, betrachten die Gegend als Rückzugsraum, in dem sie Terrorakte in Ruhe vorbereiten können. Denn dem Geheimdienst fehle das Personal, um sie wirksam zu überwachen, heißt es. Irgendwann, quasi jederzeit, könnte es aber auch hier einen Anschlag geben.

Solche Horrorszenarien entwickelten Geheimdienstler kürzlich in Interviews mit dem Sender rbb. Beklagt wurde dabei auch, dass etwa ein Viertel des Personals dadurch gebunden sei, dass mehrere hundert Meter Akten durchgesehen, kopiert, teilweise geschwärzt und an den NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags übermittelt werden müssen.

2009, als die erste rot-rote Regierung in Brandenburg antrat, zählte der VS noch 125 Mitarbeiter. Doch der Personalabbau begann schon früher, bereits unter Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). In der Spitze gab es in Brandenburg einmal 134 Verfassungsschützer.

SPD und LINKE haben sich in ihren Verhandlungen über den Doppelhaushalt 2017/18 darauf verständigt, dass beabsichtigte Kürzungen unterbleiben. Denn zehn der 90 Stellen beim VS hatten den Vermerk »kann wegfallen«. Diese zehn Stellen darf Weber nun aber behalten. Doch das genügt ihm nicht. Auch dem Landtagsabgeordneten Björn Lakenmacher (CDU) reicht das nicht aus. Die CDU verlangt mindestens 120 Stellen. »Das Argument, es gäbe nicht genug Geld für Brandenburgs Sicherheit, ist angesichts von Rekordeinnahmen und einer prall gefüllten Rücklage nicht akzeptabel«, sagt Lakenmacher. Es sei unverantwortlich, nicht zu reagieren, wenn sich der VS nicht mehr in der Lage sehe, »Quellen umfänglich auszuwerten und Hinweisen sorgfältig nachzugehen«. Der Landtagsabgeordnete Thomas Jung (AfD) bezeichnet den Verfassungsschutz als »hoffnungslos unterbesetzt«.

Aber ist er das wirklich? »Aus unserer Sicht ist der Verfassungsschutz mit 90 Stellen arbeitsfähig«, erklärt Hans-Jürgen Scharfenberg. Der Innenexperte der Linksfraktion betont, im Bereich Sicherheit sei der Personalabbau von Rot-Rot nicht nur gestoppt worden, es werde sogar wieder mehr Stellen als früher geben. So soll es 2018 wieder rund 8300 Polizisten geben - etwa 180 mehr als gegenwärtig, erinnert Scharfenberg. Auch die Justiz werde personell gestärkt. »Der Verfassungsschutz steht nicht im Zentrum der Erfordernisse zur Herstellung der inneren Sicherheit«, führt der Politiker aus. »Der Verfassungsschutz ist nicht der Schwerpunkt, nur eine Komponente. Schwerpunkte sind Polizei und Justiz.«

Im Prinzip wünscht sich die LINKE eine Welt ohne Geheimdienste, könnte aber gegenwärtig weder eine Abschaffung des VS noch eine Personalkürzung gegen die Sozialdemokraten durchsetzen. Das stellte SPD-Fraktionschef Mike Bischoff aus aktuelles Anlass extra noch einmal klar. Er verwies dabei auf die Kräfteverhältnisse. Die LINKE ist in der rot-roten Koalition nur der Juniorpartner.

Dabei gibt der NSU-Skandal reichlich Anlass, die Existenzberechtigung des Verfassungsschutzes zu hinterfragen. Im NSU-Untersuchungsausschuss mahnte der Sachverständige Dirk Laabs, der Herkunft der Waffen nachzuforschen, die V-Mann Carsten Szczepanski alias »Piatto« in der rechten Szene angeboten habe. Denn den V-Mann erreichte eine SMS aus dem Umfeld des NSU-Trios mit der Frage: »Was ist mit dem Bums?«

Der Supergau wäre, wenn eine Tatwaffe der NSU-Mordserie vorher durch die Hände des Geheimdienstes gegangen wäre. Aber dafür gibt es gegenwärtig keinerlei Beweise und auf Spekulationen lässt sich der Landtagsabgeordnete Volkmar Schöneburg (LINKE) als promovierter Jurist nicht ein. Als Obmann der Linksfraktion im NSU-Ausschuss hatte Schöneburg frühzeitig klar gemacht, dass er im Gegensatz zu dem Bundestagsabgeordneten Norbert Müller (LINKE) nicht vorher sagen könne, ob der brandenburgische VS aufgelöst gehöre oder nicht. Eine solche Bewertung könne erst nach Abschluss der Aufklärungsarbeit erfolgen. Diese Position gelte nach den ersten drei Anhörungen im Ausschuss weiterhin, bestätigt Schöneburg nun auf Nachfrage. Die zuerst gehörten Sachverständigen hatten gemeint, der Geheimdienst sei unverzichtbar. Die zuletzt gehörten, darunter Dirk Laabs, teilten dann die Skepsis des Obmanns. Doch erst 2017 steigt der NSU-Ausschuss in die Aufklärung konkreter Sachverhalte und Vorwürfe ein. Seite 11

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