Mehrere Männer mit Megafonen

Dritter Prozess gegen Tim H. bringt keine neuen Erkenntnisse

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.

Auf dem Video ist kaum ein klares Wort zu verstehen. »Ihr sollt nach vorn!«, wird an einer Stelle geäußert, an einer anderen heißt es: »Da hinten: Ihr müsst kommen!« Die Sätze werden durch ein oder mehrere Megafone gesprochen - genau kann das auch die Gutachterin, die im Landgericht Dresden gehört wird, nicht sagen. Die Aufzeichnungen seien so schlecht, dass »ein Stimmvergleich nicht durchgeführt werden kann«, sagt die Frau vom Landeskriminalamt Brandenburg. Man wisse, resümiert der Vorsitzende Richter Martin Schulze-Griebler, »jetzt etwas genauer, was gesprochen wurde - aber nicht, von wem«.

Damit hilft das Stimmgutachten im entscheidenden Punkt des nunmehr dritten Prozesses gegen den Berliner Antifaschisten Tim H. nicht weiter. Der 40-jährige Familienvater steht wegen seiner Beteiligung an Protesten gegen einen Naziaufmarsch im Februar 2011 in Dresden vor Gericht. H. wird vorgeworfen, mit dem über ein Megafon geäußerten Spruch »Kommt nach vorne!« einen gewalttätigen Durchbruch von Nazigegnern durch eine Polizeisperre koordiniert zu haben. In einem ersten Prozess sah das Amtsgericht Dresden das als erwiesen an und verurteilte den nicht vorbestraften Angeklagten im Januar 2013 wegen Rädelsführerschaft und schweren Landfriedensbruchs zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung.

In einem Berufungsprozess am Landgericht Dresden im Januar 2015 wurde die Strafe aber deutlich abgemildert. Wegen Beleidigung eines Polizeibeamten wurde H. nur noch zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 45 Euro verurteilt. Grund dafür: Die Beweislage hatte sich als äußerst schwach herausgestellt, nachdem die Verteidigung aufgezeigt hatte, dass auf einem Originalvideo der Polizei bis zu fünf Personen mit Megafon zu sehen waren. Allerdings war das nicht das letzte Wort. Im Juni 2015 gab das Oberlandesgericht Dresden einer Revision statt; der Fall wird nun neu aufgerollt.

Die dritte Auflage dreht sich erneut wesentlich um die Frage, ob weitere Personen mit Megafonen am Tatort waren. Dies sei »der zentrale Punkt«, sagte Schulze-Griebler. Ausschließen konnten das weder der Chef der im Februar 2011 bei der Dresdner Polizei gebildeten Sonderkommission, der H. gleichwohl eine »führende Funktion« bei den Rangeleien an der Polizeisperre zusprach, noch ein an dieser Stelle mit der Beweissicherung betrauter Polizist aus Nordrhein-Westfalen. Er sagte, es habe »möglicherweise auch andere« Personen mit Megafonen gegeben. Auch das Stimmgutachten konnte den Vorwurf nicht erhärten. Bisher deutet deshalb alles darauf hin, dass am nächsten Prozesstag am 6. Januar bereits ein Urteil fällt - und dass dieses zumindest nicht härter ausfällt als das vorherige am Landgericht.

Gestraft fühlt sich der Angeklagte freilich ohnehin schon mehr als genug, wie er in einer persönlichen Erklärung offenbarte. Tim H. bestritt darin die Vorwürfe und fügte an, er habe »den Eindruck, dass die Länge des Verfahrens schon eine Strafe darstellt«. Sein Verteidiger Sven Richwin merkte an, dass inzwischen Gerichtskosten im fünfstelligen Bereich angefallen seien. Sie überstiegen damit deutlich die Höhe der Geldstrafe, zu der H. im zweiten Prozess verurteilt worden war.

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