Wie wohnt Deutschland?

Es mangelt nicht an Wohnraum, und doch sind Wohnungen knapp

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Wohnungen sind knapp? Nein, eigentlich nicht. Tatsächlich stehen heute mehr Wohnungen pro Einwohner zur Verfügung als früher. In Deutschland gab es Ende 2015 rund 41,4 Millionen Wohnungen, teilt das Statistische Bundesamt (Destatis) mit. Damit erhöhte sich der Wohnungsbestand im Vergleich zum Jahr 2000 um 2,6 Millionen. Noch beeindruckender ist ein weiteres Ergebnis: Die Anzahl der Wohnungen je 1000 Einwohner lag Ende 2015 bei 499 Wohnungen und damit um 32 Wohnungen höher als noch fünfzehn Jahre zuvor.

Dennoch ist die Nachfrage nach Wohnungen riesig. Die Preise für den Kauf von - im Maklerjargon - Zinshäusern und die Mieten steigen rasant. Es mangelt nicht an Wohnraum und doch sind Wohnungen knapp. Für dieses Paradoxon gibt es ein ganzes Bündel an Gründen.

Die einfachste Erklärung wäre, die Bevölkerung nimmt zu. Das stimmt. Teilweise. Nachdem die Bevölkerungszahl jahrelang schrumpfte, nimmt sie seit einigen Jahren wieder zu. 2015 machte sie geradezu einen Sprung nach oben, um fast eine Million Menschen. Diese Zunahme resultiere aus dem hohen »Wanderungsüberschuss«, so Destatis, vor allem dem Zuzug ausländischer Staatsbürgerinnen und -bürger. Durch die vergleichsweise große Zunahme der Bevölkerung stieg auch die Nachfrage nach Wohnraum sprunghaft an. Ein Trend, der sich 2017 fortsetzen dürfte, wenn Flüchtlinge und Migranten, die im vergangenen Jahr nach Deutschland kamen, aus den Aufnahmeeinrichtungen in den »freien« Wohnungsmarkt drängen werden.

Dennoch erklärt die Bevölkerungszunahme nur einen Teil der Herausforderungen. So ist gegenüber dem Vergleichsjahr 2000 die Bevölkerungszahl sogar noch ein wenig niedriger. Damals betrug sie rund 82,3 Millionen. 2015 waren es 82,2 Millionen Menschen.

Für die überbordende Nachfrage nach Wohnraum muss es also noch weitere Gründe geben. Da sind zunächst die höheren Qualitätsansprüche, die heute oft gestellt werden. Dies drückt sich aus in der größeren Wohnfläche. Für jeden Einwohner stehen mittlerweile im Durchschnitt rund 40 Quadratmeter zur Verfügung. Die Nachfrage nach luxuriöseren Unterkünften folgt dem wachsenden Wohlstand in Teilen der Gesellschaft. Für dieses kaufkräftige Milieu wurde durchaus gebaut. Stichwort: Verdichtung der Städte. Dagegen ruhte der Wohnungsbau für kleine und mittlere Einkommen fast vollständig.

Hinter den Zahlen aus dem Statistikamt in Wiesbaden wirken auch noch weitere Trends. So ändert sich die Altersstruktur der Gesellschaft: Weniger Junge, mehr Alte. Und da immer mehr Menschen im hohen Alter Zuhause leben können, bleiben sie länger in ihrer Wohnung. Die demografische Entwicklung erfordert zudem anderen Wohnraum.

Auch oftmals kleineren. So nimmt seit längerem die Zahl der Singlehaushalte zu. In mehr als einem Drittel aller Haushalte lebt lediglich eine Person. Der inzwischen häufigste Haushaltstyp besteht allerdings kaum aus ganz jungen Leuten - typische Bewohner sind Witwen, geschiedene Ehemänner oder Alleinstehende mittleren Alters. Hierin drückt sich auch ein Wandel der Lebensformen aus, den Soziologen mit »Individualisierung in der Erlebnisgesellschaft« beschreiben.

Dennoch ist Wohnraum keineswegs überall knapp. Hunderttausende Wohnungen stehen leer. Vor allem im Osten. So beträgt in Sachsen-Anhalt die Leerstandsquote 11,3 Prozent, mehr als jede zehnte Wohnung ist also nicht vermietet.

Gleichzeitig fehlen laut Angaben des genossenschaftsnahen Bundesverbandes deutscher Wohnungsunternehmen (GdW) aktuell 800 000 Wohnungen, besonders in den Ballungsgebieten. Aus den ländlichen Räumen, so der frühere hamburgische Senator und heutige GdW-Präsident Axel Gedaschko, gehen besonders die jungen Menschen zwischen 18 und 35 Jahre weg. Sie ziehe es in die Großstädte. Hier sei die Politik gefordert, um die Bindung der Menschen an ihre Region zu stärken, nicht allein durch Investitionen in Wirtschaft und Arbeitsplätze, sondern auch soziale und kulturelle Infrastruktur. Für die Ballungszentren forderte Gedaschko »neue Stadtteile und zugleich Verdichtung in den bestehenden«. Denn trotz steigender Baugenehmigungen werde derzeit noch nicht einmal »der Status quo des Wohnraummangels gehalten«.

Die Situation auf dem Wohnungsmarkt wird heikel bleiben. Knappes Bauland, striktere regulatorische Vorgaben, Fachkräftemangel, steigende Baukosten und politische Hindernisse auf kommunaler Ebene sowie die knappe Förderung des sozialen Wohnungsbaus durch Bund und Länder behindern den Neubau.

Im vergangenen Jahr wurden laut Bauindustrie 290 000 Wohnungen fertiggestellt, 2017 hofft man auf 320 000. Der Bau sitzt damit auf den dicksten Auftragsbüchern seit zwei Jahrzehnten.

Aber genug ist nicht genug: Den jährlichen Bedarf schätzt die Deutsche Bank in einer aktuellen Studie nämlich auf bis zu 494 000 Wohnungen. Der »Nachfrageüberhang« durch Wohnungssuchende wird sich also sogar noch vergrößern. Und für die Mehrheit der Bevölkerung sind Neubauwohnungen ohnehin unbezahlbar.

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