Ohne Vergesellschaftung keine Verkehrswende

Neuerscheinung zur Debatte über die notwendige Transformation in der Autoindustrie

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.
Protestaktion 2023 in Wolfsburg
Protestaktion 2023 in Wolfsburg

Ausgerechnet in der VW-Stadt Wolfsburg warb Tobi Rosswog mit mehreren Mitstreiter*innen für die Verkehrswende weg vom Auto. Sie organisierten Demonstrationen, Straßenfeste und weitere Aktionen, die auch bundesweit für Aufmerksamkeit sorgten. Dazu gehörte die Besetzung eines Autozugs im März 2023: Die Aktivist*innen überdeckten die Autos mit einer großen Plane, auf der Straßenbahnen zu sehen waren. Damit wurde die Forderung unterstrichen, dass im VW-Werk künftig Straßenbahnen und Busse für den öffentlichen Nahverkehr produziert werden sollten.

Die Aktivist*innen der Initiative »VW heißt Verkehrswende« suchten beharrlich das Gespräch mit VW-Mitarbeiter*innen. In dem kürzlich erschienenen Buch »Nehmen wir das Leben wieder selbst in die Hand« wird diese Diskussion fortgesetzt. »Die dialogische Struktur, der persönliche Zugang und die anschaulichen Praxisbeispiele machen das Buch zu einem niedrigschwelligen aber zugleich tiefgehenden Angebot – ins Gespräch über unterschiedliche Milieus zu kommen«, schreibt Ko-Autor Tobi Rosswog im Vorwort. Neben dem Aktivisten gehören der VW-Arbeiter und IG-Metall-Vertrauensmann Thorsten Donnermeier und die Verkehrswendeexpertin Katja Diehl zu den Verrfasser*innen des gut lesbaren Bandes.

Donnermeier, der 40 Jahre bei VW in Baunatal arbeitete, stellt klar, dass in seinen Wohnort, einen kleinen Dorf bei Kassel, ohne Auto fast gar nichts geht, weil der Öffentliche Nahverkehr schlecht ausgebaut ist. Daher stelle sich die Frage: »Was brauchen wir an Mobilität? Und welche Möglichkeiten gibt es, die Produktion umzustellen, hin zu Produkten, die keinem schaden, sondern allen dienen?«

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In dem Buch diskutieren Diehl, Rosswog und Donnermeier darüber, wie VW sozialökologisch umgebaut werden könne und welche Rolle die Lohnarbeit als Notwendigkeit oder Zwang dabei spiele. Die »Scheinlösung« des E-Autos wird ebenso angesprochen wie die Frage, was der Kampf mit Antifaschismus zu tun hat. So wird an die Geschichte des Konzerns erinnert. »Volkswagen wurde nicht als Zivilgesellschaftsprojekt gegründet, sondern als Prestigeprojekt der Nazis.« Obwohl Ferdinand Porsche als SS-Mann Mitverantwortlicher für Zwangsarbeit und Kriegsproduktion war, wird er in Wolfsburg weiter mit Büsten und auf Straßenschildern geehrt.

Im Buch geht auch um Vergesellschaftung. Dabei geht Gewerkschafter Donnermeier in einen historischen Exkurs mehr als 100 Jahre zurück. »Nach dem Ersten Weltkrieg war die zentrale Erkenntnis der Arbeiterbewegung, die Produktion muss vergesellschaftet werden.« Daran möchte man anknüpfen, denn ohne Vergesellschaftung von VW ist eine Konversion von Autos zu Bussen und Bahnen nicht möglich. »Eine sozial-ökologische Konversion – also der Umbau unserer Industrie zu sinnvollen, klimagerechten Produkten – lässt sich innerhalb kapitalistischer Logiken kaum realisieren«, sind sich die Autor*innen einig. In einen Kapitel setzt sich das Trio mit der »katastrophalen Konversion« von der Auto- in die Rüstungsindustrie auseinander, wie sie im VW-Werk Osnabrück und bei bei Pierburg in Berlin-Wedding geplant ist. Dagegen setzen antimilitaristische Kolleg*innen die Parole: »Wir produzieren nicht für den Tod.«

Ausführlich wird beschrieben, dass Automobilarbeiter*innen und Verkehrswendeaktivist*innen in der Initiative gemeinsam agieren. Man merkt den drei Gesprächsteilnehmer*innen noch an, wie begeistert sie von den Aktionen 2023 waren. Etwas zu kurz kommt dabei die Frage, wie es in Wolfsburg konkret weitergehen soll. Dennoch eine empfehlenswerte Lektüre, die Mut macht.

Katja Diehl, Thorsten Donnermeier, Tobi Rosswog: Nehmen wir das Leben wieder selbst in die Hand. Eine Einladung zum Kampf für das gute Leben für Alle, Verlag Die Buchmacherei, Berlin, 142 Seiten 10 Euro.

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