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Das Ziel war Befreiung

Vor 40 Jahren hatten die Aktionen der RAF ihren blutigen Höhepunkt.

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 5 Min.

Sie sind wieder da, die Polizeiposter aus einer anderen Zeit. Man sieht sie zuweilen in Bahnhöfen und anderen öffentlichen Orten. Eins zeigt einen freundlich lächelnden älteren Herren mit grauem Cap und Kinnbart. Neben ihm wird ein unscheinbarer Mann mit Schiebermütze gesucht. Man will sich schon fragen, wie lange seine Familie ihren Opa vermisst, was den beiden Gesuchten zugestoßen ist. Wäre da nicht der Warnhinweis auf dem Plakat: »Nicht an die Personen herantreten! Diese könnten bewaffnet sein!«

Die beiden auf dem Plakat gesuchten sind Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg. Zusammen mit Daniela Klette (Jahrgang 1958) bilden die beiden 62- beziehungsweise 58-jährigen Männer die letzten Reste einer Zeit, in der die Bundesrepublik weder vom Rechtspopulismus noch vom Islamismus in Frage gestellt wurde, sondern von links. Die drei vom LKA Niedersachsen und Bundeskriminalamt gesuchten Personen sind die letzten gesuchten Mitglieder der Roten Armeefraktion (RAF). Spricht man von dieser bewaffneten Gruppierung, dann kommt man schnell auf eine Jahreszahl, die sich mittlerweile zum 40. Mal jährt: 1977.

Dabei begann alles mit wüsten Beschimpfungen des eigenen Umfeldes im Frühjahr 1970. »Es hat keinen Zweck, den falschen Leuten das Richtige erklären zu wollen«, schrieben die Gründungsmitglieder der RAF den Genossen der Berliner linksradikalen Szenezeitschrift Agit 883. Die Baader-Befreiungs-Aktion habe man »nicht den intellektuellen Schwätzern, den Hosenscheißern, den Alles-besser-Wissern zu erklären, sondern den potenziell revolutionären Teilen des Volkes«. Kurz zuvor hatten Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Co. den Inhaftierten Andreas Baader bei einer arrangierten Ausführung in das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen in Berlin befreit.

Die RAF war geboren. Fast 25 Jahre lang würde sie von nun an die Bundesrepublik in Atem halten. Doch so sehr es ihre Beschimpfungen zur eigenen Gründung vermuten lassen, so isoliert wie spätestens ab dem Heißen Herbst 1977 war die RAF zunächst noch nicht. Anfang der 1970er Jahre waren laut Umfrage noch 20 Prozent der Bevölkerung bereit, Mitglieder der RAF vor der Polizei zu verstecken. Mit dazu beigetragen hatte wohl auch die polarisierende Debatte. Häufig hieß es nur, ob man dafür oder dagegen sei. Und die Antwort des Staates auf die Proteste der Linken waren Notstandsgesetze und Berufsverbote.

Es war die Zeit der außerparlamentarischen Opposition. Der Krieg der USA gegen Vietnam ließ die Jugend überall auf der Welt auf die Straße gehen. In den USA kämpften die Schwarzen für Gleichberechtigung, in Westdeutschland hatten die Jugendlichen genügend Gründe, um gegen ihre Nazieltern und die bleierne Nachkriegszeit zu rebellieren. In dieser Stimmung wurde der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) mit Rudi Dutschke groß und die Kommune 1 gegründet.

In der Nacht zum 3. April 1968 brannten dann in Frankfurt am Main zwei Kaufhäuser. Die Zündler waren schnell gefasst. Es waren Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Horst Söhnlein und Thorwald Proll. Als im November 1969 eine Revision der Urteile verworfen wurde, tauchten Baader, Ensslin und Proll in Paris unter, nur Söhnlein trat seine Haftstrafe an. Am 4. April 1970 geriet Andreas Baader in Westberlin in eine Verkehrskontrolle und wurde verhaftet. Dann kam die Befreiung von Baader als Geburtsstunde der RAF. Man wollte die antiimperialistische Revolution in die Bundesrepublik tragen.

Die Gründungsmitglieder wurden bald geschnappt. Neue Mitglieder wurden aktiv, bei denen das Ziel der Gesellschaftsveränderung in den Hintergrund und die Befreiung von Baader und Co. in den Vordergrund geriet. Man sprach auch von einer Befreit-die-Guerilla-Guerilla Und es wurde spätestens mit der Offensive von 1977 äußerst blutig. Nachdem die RAF am 7. April 1977 Generalbundesanwalt Siegfried Buback und am 30. Juli den Bankier Jürgen Ponto erschossen hatte, töteten sie am 5. September 1977 bei der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hans Martin Schleyer dessen Chauffeur und drei seiner Personenschützer.

Im Gegenzug für Schleyer wollte die RAF elf inhaftierte Mitglieder freipressen. Zur Unterstützung entführte ein palästinensisches Kommando das Flugzeug »Landshut«. Die Aktionen scheiterten. Schleyer wurde ermordet. Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe wurden am 18. Oktober 1977 in ihren Zellen im Gefängnis Stammheim tot aufgefunden. Allgemein ging man von Selbstmord aus. Ein harter Kern von Unterstützern spricht bis heute von Mord.

Seit dem Herbst 77 starben 23 weitere Menschen im Zuge der Aktionen der RAF, darunter neun Mitglieder. Dabei war sie am Ende extrem isoliert. »Die Aktionen der siebziger und achtziger Jahre hatten ja praktisch nichts mehr mit der legalen Linken zu tun, grenzten sich zum Teil sogar bewusst von ihr ab«, erklärte später das Mitglied Birgit Hogefeld gegenüber dem »Spiegel«. Der letzte tödliche Anschlag sollte das ändern. Es traf den Chef der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder. Doch gebracht hatte es nichts. Im April 1992 erklärte die RAF, ihre Attentate auf »führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat« einzustellen. 1993 verübte sie noch einen Sprengstoffanschlag auf das Gefängnis Weiterstadt. 1998 löste sich die RAF auf. Eigentlich hätte damit die Geschichte der RAF zu Ende sein können.

Wären da nicht Klette, Staub und Garweg. Seit einem Jahr machen sie wieder auf sich aufmerksam. Ihnen werden vor allem in Niedersachsen diverse Raubüberfälle zur Last gelegt. Doch neue revolutionäre Ambitionen werden ihnen nicht unterstellt. Gemeinhin geht man vom Gelderwerb fürs Überleben im Untergrund als Zweck der Aktionen aus.

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