Streikende Schüler: »Ihr alten Knacker müsst ja nicht kämpfen«

Tausende Jugendliche protestieren allein in Berlin gegen den neuen Wehrdienst

  • Ruta Dreyer
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Streiks gegen den Wehrdienst sind die größten Schüler*innenproteste seit Fridays For Future.
Die Streiks gegen den Wehrdienst sind die größten Schüler*innenproteste seit Fridays For Future.

»Wir wollen nicht kriegstüchtig sein, wir wollen friedensfähig sein«, ruft ein Redner von der Bühne des Lautsprecherwagens aus. Die Schüler*innen vor ihm stimmen applaudierend zu. Mehrere Tausend von ihnen stehen dicht gedrängt auf dem Mehringplatz in Berlin-Kreuzberg, um gegen den neuen Wehrdienst zu protestieren. Doch es ist kurz nach Mittag und damit eigentlich noch Schulzeit. In über 90 Städten bestreiken Schüler*innen am Freitag ihren Unterricht, um gegen den Dienst an der Waffe zu demonstrieren. Aufgerufen hatte die Kampagne »Schulstreik gegen Wehrpflicht«, die bundesweit von über 50 000 Teilnehmer*innen spricht.

Der Unmut der Schüler*innen in Berlin ist deutlich sichtbar. »Diese Politiker sind nicht unsere Politiker«, meint der Redner weiter, »sie handeln aktiv gegen uns.« Auf dem Platz tummeln sich neben den Schüler*innen auch Eltern mit Kindern sowie Aktivist*innen aus Friedens- und sozialistischen Organisationen. Von Grundschule bis Oberstufe sind alle dabei: Der neue Wehrdienst berührt sie alle. Wie bei Fridays For Future, den letzten großen Schulstreiks, geht es auch hier um eine Zukunft, die sich bedrohlich abzeichnet. Und eine Politik, die deren Lasten auf den Schultern der Jugend ablegen will. »Wer wird am Ende in den Schützengräben liegen?«, fragt ein anderer Redner. Im Falle eines Krieges säßen »die Bosse in den Bunkern, trinken Champagner und freuen sich über die steigenden Gewinne der Rüstungskonzerne«.

Der Berliner Senat verwies vorab auf die Schulpflicht und darauf, dass Schüler*innen, die streikten, als unentschuldigt fehlend gelten würden. Auch der Deutsche Lehrerverband nahm diese Position ein. Verbandspräsident Stefan Düll mahnte, man müsse »mit erzieherischen Maßnahmen bis hin zu einem Verweis« rechnen. Die politischen Entwicklungen scheinen die Schüler*innen mehr zu sorgen. »Es ist unsere Zukunft«, meint Emily aus Berlin. »Dann verpasse ich halt drei Stunden Unterricht.« »Wehr dich gegen Wehrpflicht«, »Ich krieg einen Knax wegen Wehrpflicht« und »Ihr alten Knacker müsst ja nicht kämpfen« steht auf Schildern der jungen Teilnehmer*innen.

Die Initiative »Schulstreik gegen Wehrpflicht« hatte sich vor ungefähr zwei Monaten gegründet. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sie sich zu einem bundesweiten Netzwerk aus Streikkomitees. In einigen Städten gebe es auch Komitees unterstützender Eltern, berichtet ein Schüler aus Münster im Gespräch mit »nd«. Der Instagram-Seite der Kampagne folgen mehr als 14 000 Menschen.

Zu viel Aufsehen, als dass die »alten Knacker« im Bundestag sich wegducken könnten. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sah sich denn auch einen Tag vor dem Protest veranlasst, ein Video auf Instagram zu veröffentlichen. In diesem versucht er, die streikenden Schüler*innen vom Wehrdienst zu überzeugen. Die Demokratie könne sich nicht »selber verteidigen, das müssen Menschen tun«. Seine Logik: »je besser unsere Abschreckung«, desto unwahrscheinlicher der Verteidigungsfall.

Für die Initiative zieht dieses Argument nicht. Sie betrachtet umgekehrt die Wehrpflicht selbst »als elementaren Teil der Kriegsvorbereitung«. Ein Vertreter von ihnen verweist gegenüber »nd« auf die militärische Überlegenheit der Nato im Vergleich zu Russland. »Warum soll ich auf jemanden schießen, der viel mehr mit mir gemeinsam hat als Gooflord Friedrich Merz?«, fragt ein anderer Schüler in einem Kampagnenvideo. »Statt Milliarden in Waffen zu stecken«, fordert die Initiative »Milliarden für Bildung, bessere Ausbildungsplätze, das Klima und für unsere Zukunft«.

»Wir wollen nicht kriegstüchtig sein, wir wollen friedensfähig sein.«

Redner auf der Demo gegen die Wehrpflicht

Die Bildungsgewerkschaft GEW, Friedensorganisationen, das BSW und die Linkspartei unterstützten den Aufruf. Die Bundesschülerkonferenz forderte, die Schüler*innen bundesweit vom Unterricht freizustellen. In einer Pressemitteilung schrieb sie, dass der »Mehrwert so einer demokratischen Erfahrung« weitaus höher sei, »als es der von einem einzelnen Schultag je sein könnte«. Eine Position zur Wehrpflicht selbst nimmt sie nicht ein.

Laut der Nachrichtenseite »Jugendinfo« versuchten Schulleitungen vorab, die Protestierenden einzuschüchtern. In Städten wie Düsseldorf und Heilbronn soll es zu Androhungen von Disziplinarverfahren und Schulverweisen gekommen sein. Einige Schulen untersagten es den Schüler*innen, Flyer zu verteilen. In anderen Städten sollen Lehrkräfte den Streik hingegen unterstützt haben. Die Kampagne verweist auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit als Grundpfeiler einer aktiven Beteiligung an demokratischen Prozessen.

Die Initiative versteht den Kampf gegen Militarisierung darüber hinaus als einen Kampf gegen rechts. Sie kritisiert, dass Schüler*innen in die Kaserne sollten und dort »zu Nationalismus erzogen werden«. Schließlich häuften sich Meldungen über Rassismus und rechte Strukturen in der Bundeswehr. In einer Stellungnahme mit dem Titel »Schulstreik ohne die AfD« verweist die Kampagne mit verschiedenen Beispielen darauf, dass die AfD »den wahnsinnigen Militarisierungsdiskurs der Regierung« mitgehe. Sie distanziert sich auch von jenen Teilen der AfD, die wie die Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt behaupten, an der Seite der Wehrpflichtgegner*innen zu stehen. Der Aufruf verdeutlicht: »Ihr seid Teil des Problems.« Man werde sich von der rechten Partei nicht vereinnahmen lassen.

Es ist eine Ansage – nicht nur an die Politiker*innen, die über die Köpfe der Jugend hinweg entscheiden, sondern auch an diejenigen, die behaupten, eine Opposition dagegen zu sein. Dieser Freitag scheint ein Auftakt zu sein, der »Grundstein für eine wehrhafte Schülerbewegung«, wie ein Redner auf dem Mehringplatz meint. »Keiner kämpft für uns, wenn wir es nicht tun.« Einen Termin für den nächsten Streiktag hat die Kampagne mit dem 5. März bereits festgelegt. Pistorius wird wohl noch viele weitere Videos drehen müssen.

Die Schüler*innen wollen selbst über ihre Zukunft entscheiden.
Die Schüler*innen wollen selbst über ihre Zukunft entscheiden.

Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.

Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen

Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.