Vorwärts mit Bach und Luther

In der Philharmonie Berlin präsentierten das Bundesjugendorchester und -ballett ein Programm, das auf das Reformationsjahr ausgerichtet war

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 4 Min.

Beide Einrichtungen, das Bundesjugendorchester und das Bundesjugendballett, großzügig gefördert, gehören nicht zusammen. Sie betätigen sich je selbstständig. Die Ballettgruppe, geleitet von Kevin Haigen, besteht aus acht Akteuren, ihre Zusammensetzung ändert sich von Saison zu Saison. Ihr Pendant ist selbstredend groß besetzt, eben ein Sinfonieorchester, das auch Riesenpartituren von Mahler und Strauss sowie Neue Musik musiziert, darunter eigens bestellte Auftragswerke. Jetzt haben beide zum zweiten Mal zusammengefunden mit einem Programm, das im Zeichen des Reformationsjubiläums steht. Dritter Auftrittsort dieser Tage: die Bühne im Großen Saal der Philharmonie Berlin. Das Programm ist dabei ganz auf das Reformationsjubiläum in diesem Jahr abgestellt.

Gewiss, die Figur Martin Luthers, des großen Reformators, gehört ins Zentrum. Er sei Energiebündel, Erneuerer der Kirche, Mutmensch, wirklich Glaubender, Fürsprecher und später Verräter an den aufständischen Bauern unter Thomas Müntzer, im Alter bedauerlicherweise auch Antijudaist und Feind der Türken gewesen, so tönt es jetzt allerorten. All das schert die jungen Ausübenden wenig. Interessant sind für sie die Reflexe auf Luther und seine Leistungen - als Künstler. Mindestens Mendelssohns «Reformationssinfonie» musste erscheinen, mindestens ein Werk des Lutheraners Bach, mindestens Gegenwartsmusik, mindestens eine Uraufführung darunter.

Tatsächlich trat Luther den «gottlosen» Katholiken energisch entgegen, weil sie marktwirtschaftlich mit Reliquien hantierten und mit dem Versprechen, Gott werde es richten, Freihandel betrieben. Das Lied «Eine feste Burg ist unser Gott», Reformationssymbol der Protestanten schlechthin, geht auf ihn zurück. Luther hat es um 1529 in Anlehnung an Psalm 46 gedichtet und auch die Melodie komponiert. Der allem Weltlichen gesonnen entgegenblickende Jude Heinrich Heine hat es als «Marseiller Hymne der Reformation» bezeichnet, Friedrich Engels, Mitschöpfer des «Kommunistischen Manifests», gar als «Marseillaise der Bauernkriege.» Johann Sebastian Bach schuf darüber eine seiner herausragenden Choralkantaten.

Die erklang an diesem Abend in Berlin zwar nicht, dafür, an zweiter Stelle, Felix Mendelssohn-Bartholdys Symphonie Nr. 5 d-moll op. 117, genannt «Reformations-Symphonie. Jugendlich kühn, ja atemberaubend ihre Wiedergabe unter Dirigent Alexander Shelley, der das Orchester gegenwärtig in Obhut hat. Das Werk verarbeitet Luthersches Choral - und Liedgut, besonders eindrücklich im Schlusssatz Bachs »Ein feste Burg«.

Dann die gewaltige Orchesterouvertüre Nr. 3 D-Dur von Bach, glanzvoll geboten, Werk mit dem berühmten »Air« im zweiten Satz. Der, auf Beerdigungen und anderswo totgeritten, wirkte hier echt und klar. Ihm gegenüber fast reglos, aber auch in eckiger Erregung, die gebogenen Körper des Paares und dessen Schrittkombinationen. Der große John Neumeier besorgte die Choreografie nach jenem bereits erprobten Modell, das er »Bach - Suite 3« nannte. Eine hochintelligente, höchst sinnliche Mischung aus barocken, klassischen, romantischen Stil- und Sinngebungen des Tanzes.

Ganz anders an - und tänzerisch ausgelegt »Reversal« für Orchester des Holländers Michel van der Aa, choreografiert von Andrey Kaydanovsky. Akteure treten in Kutten und grau-schwarzen Anzügen auf. Elemente des Szenarios: Gefaltete Hände, quälerische Griffe nach der Kerze in Gelb, Gebete, die Gesichter himmelwärts gerichtet, Kollisionen, die Gruppe entfaltet sich.

Schlau machte das nicht, eher bange. Zum Schluss kam von Enjot Schneider, erfahrener Komponist und Filmemacher aus Südbaden, »Ein feste Burg« - symphonisches Gedicht für Orchester, ein ziemlicher Schinken, muss leider gesagt werden. Soloinstrumente und Orchester zitieren in sämtlichen Lagen aus dem Bachschen Eingangschor und anderen fugierten Gebilden. Zhang Disha choreografierte dazu eine Räuberpistole, die romantisch endet. Plötzlich, als wäre der von Luther und seinesgleichen bestgehasste Teufel erschienen, rennt ein stahlbehelmter Soldat in Khaki-Uniform und bewaffnet über die Bühne. Das mehrmals. Ein Terrorist? Die Leiber und Brüste der Männer und Frauen durchstechen kleine weiße Granaten aus Stoff. Zuletzt legen sie dies Teufelszeug auf einen Haufen. Arme und Hände winden sich wie Girlanden hoch, als steige das Feuer in die Lüfte. Das Orchester blendet sich leise weg. Es ist Friede und fest die Burg. Naiver geht’s nimmer.

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