Weniger tricksen mit dem Siegel

Vom Freistaat ausgezeichnete Produkte müssen zu großen Teilen aus Thüringen stammen

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 4 Min.

Es geht schon mit der Größe los. Und damit, dass sich die zwei Siegel ziemlich ähnlich sehen, die nun für fünf Jahre nebeneinander auf dem Markt existieren sollen. Bis auf den Schriftzug. Der aber eben kaum zu lesen ist, wenn das Siegel sehr klein auf einer Packung Klöße oder Kartoffelpuffer abgedruckt wird. Das eine Siegel wird nämlich von dem Schriftzug »Geprüfte Qualität aus Thüringen« umrahmt; das andere Siegel vom Schriftzug »Geprüfte Qualität - hergestellt in Thüringen«.

Wirklich glücklich ist der Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Thüringen, Ralph Walther, mit dieser Situation nicht. Wegen der Verwechselungsgefahr. Dabei begrüßt Walther im Grundsatz durchaus, was nun dazu führt, dass es in den nächsten Jahren zwei Thüringer Qualitätssiegel geben wird. Für das Kern-Logo - also: »Geprüfte Qualität aus Thüringen« - gelten nämlich ab sofort strengere Vergabekriterien. Was wiederum dazu führt, dass Verbraucher in Zukunft eine klarere Vorstellung davon haben können, wo die Zutaten für so gekennzeichnete Produkte herkommen. Statt bislang mindestens 50,1 Prozent müssten nun mindestens 90 Prozent der Rohstoffe aus Thüringen stammen, wenn ein bestimmtes Produkt dieses Siegel tragen solle, sagt Thüringens Agrarministerin Birgit Keller (LINKE). Damit werde das Siegel ehrlicher. Eingeführt wurde es 1992; vor ziemlich genau 25 Jahren also.

Keller sagt, in dieser Zeit habe sich auch auf dem Lebensmittelmarkt viel verändert. Deshalb sei es nun an der Zeit gewesen, die Vergabekriterien für das Siegel zu modernisieren. Immerhin legten Verbraucher doch einen immer größeren Wert darauf zu wissen, wo die von ihnen gekauften Waren hergestellt worden seien - und unter welchen Bedingungen das geschehen sei. Dieses Bewusstsein, sagt Keller, müssten Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie in Thüringen auch für sich nutzen. So könnten beispielsweise Arbeitsplätze im ländlichen Raum gesichert werden. Denn alles in allem, sagt Keller, sei Thüringen doch »ein landwirtschaftlich geprägtes Land«.

Etwa 320 Produkte von 108 Erzeugern haben das Qualitätssiegel nach Angaben Kellers bislang getragen; eben unter der Maßgabe, dass mindestens 50,1 Prozent der Rohstoffe des Produkts aus dem Freistaat stammen. Weil aber nur etwa die Hälfte dieser Produkte die strengeren Anforderungen erfüllt, aber nicht plötzlich ohne Siegel dastehen soll, kommt nun das zweite - sozusagen das Qualitätssiegel light - dazu: Unternehmen, deren Produkte zwischen 50,1 und 90 Prozent Rohstoffe aus Thüringen enthalten, könnten diese mit dem Qualitätszeichen »Geprüfte Qualität - hergestellt in Thüringen« auszeichnen lassen, sagt Keller - die immerhin einräumt, dass die Verhandlungen unter anderem mit der Lebensmittelindustrie im Freistaat, die letztlich zu diesem Kompromiss geführt haben, hart gewesen seien. Nach der Übergangszeit von fünf Jahren soll mit dem Siegel light dann aber auch wirklich Schluss sein und nur noch das Qualitätssiegel mit den strengeren Vorgaben gelten, sagt Keller.

Allerdings warnt Walther - jenseits von Druckgröße und ähnlichem Aussehen der zwei Siegel - grundsätzlich davor, irgendwelchen Siegeln auf Produkten aller Art blind zu vertrauen. Sicher, sagt er, derlei Logos seien für Verbraucher eine Erleichterung. Immerhin lese doch »kein Mensch« alle Inhaltsangaben auf einer Packung Kartoffelpuffer. Andererseits berge jedes Siegel die Gefahr, dass das damit Aussagen über Inhaltsstoffe und Herstellungsverfahren stark vereinfacht würden und das Vertrauen der Verbraucher missbraucht werde. »Insofern ist es immer eine Gratwanderung.«

Wie sehr Siegel - egal ob globale oder regionale - und die dahinter stehenden Organisationen in den vergangenen Jahren immer wieder durch falsche Angaben oder das Nicht-Einhalten von gegebenen Versprechen aufgefallen sind, zeigt eine lange Liste: Beispielsweise hatte die Verbraucherzentrale Hamburg im Jahr 2014 unter anderem festgestellt, dass ein Hersteller von Eiskaffee den Anteil der in seinem Produkt fair gehandelten Rohstoffe von sechs auf sechzig Prozent hochgerechnet hatte, um ein Nachhaltigkeitssiegel zu bekommen. Dazu hatte er sowohl das Wasser als auch den Wasseranteil der Milch aus den Zutaten herausgerechnet.

Etwa ein Jahr zuvor hatte sogar die Staatsanwaltschaft ermittelt, als aufgeflogen war, dass ein angeblicher Qualitätsbauer in Niedersachsen seine Hühner auf engstem Raum gehalten hatte - aber die Eier mit Nachhaltigkeits-Logo in den Handel gebracht hatte. Zudem war ausgerechnet die deutsche Landwirtschaft, die gerne mit ihrer Nähe zwischen Tieren, Erzeugern und Verbrauchern wirbt und sich diese mutmaßliche Nachhaltigkeit regelmäßig besiegeln lässt, erst im vergangenen Jahr in die Kritik geraten, als Fotos und Videos aus den Ställen von Spitzenvertretern der Bauernlobby öffentlich geworden waren; darunter auch ein Video vom Hof des damaligen Präsidenten des Thüringer Bauerverbandes, Helmut Gumpert. Die Aufnahmen dokumentierten, dass auch in der heimischen Landwirtschaft Missstände keine Einzelfälle sind.

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