Wenn der Nachbar pöbelt

Neues Antidiskriminierungsbüro in Potsdam hilft Opfern, die rassistisch gemobbt werden

Hai Blum ist Vietnamesin. Eine Arbeitsvermittlung weigerte sich einmal, ihre Daten in die Kartei aufzunehmen. Denn Blum müsste angeblich einen Arbeitsvertrag in ihrer Muttersprache erhalten und dies sei zu kompliziert, hieß es zur Begründung. Dabei spricht Hai Blum Deutsch. Sie ließ sich das nicht gefallen und erreichte, doch angenommen zu werden. Aber dann erhielt sie nur Jobangebote als Küchenhelferin, obwohl sie Bilanzbuchhalterin ist. Viele vietnamesische Landsleute haben schon einmal etwas in dieser Richtung erlebt, erzählt Blum.

Aber ist das schon eine Ungerechtigkeit? Diskriminierung lasse sich schwer nachweisen, beklagt Blum. Deshalb freut sie sich, dass der Verein Opferperspektive nun ein Antidiskriminierungsbüro in Potsdam eröffnet hat, wo Betroffene Rat und Hilfe erhalten können.

Menschen, die wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihres Namens, ihrer Sprache oder ihrer Religion rassistisch diskriminiert werden, hilft die Opferperspektive schon länger und im gesamten Land Brandenburg. Zwei Mitarbeiter kümmern sich in Teilzeit um diese Aufgabe. Dazu werden die Opfer aufgesucht, erläutert Vereinsgeschäftsführerin Judith Porath. Die Mitarbeiter treffen sich mit den Menschen vor Ort in deren Wohnung oder beispielsweise in der nächstgelegenen Familienberatungsstelle. Doch nun gibt es ein eigenes Büro in Potsdam, das für Fälle aus der Landeshauptstadt gedacht ist, und dazu gibt es mit Marcus Reinert eine zusätzliche Teilzeitkraft.

Ein runder Tisch steht in einem Zimmer in der Rudolf-Breitscheid-Straße 164 bereit. »Wir bieten allen Potsdamern, die von rassistischer Diskriminierung betroffen sind, einen geschützten Raum, in dem solche Erfahrungen besprochen werden und Wege der Gegenwehr entwickelt werden können«, sagt Reinert. Aber nicht nur die unmittelbar Betroffenen, auch ihre Angehörigen oder Bekannten können sich hier melden.

Ursula Löbel, die in der Stadtverwaltung die Servicestelle Tolerantes Potsdam leitet, übergab am Freitag den Zuwendungsbescheid. Zunächst bis Ende 2019 ist die Arbeit des Büros damit gesichert. Finanziell gefördert wird das Modellprojekt aus Mitteln des Bundesfamilienministeriums. Die Stadt Potsdam beteiligt sich, indem sie 20 Prozent der Summe übernimmt. Dabei hat Potsdam im Vergleich zu anderen Städten und Gemeinden im Land Brandenburg die geringsten Probleme. 1685 hatte Kurfürst Friedrich Wilhelm das »Edikt von Potsdam« erlassen. Aufgrund dessen fanden 20 000 der in Frankreich verfolgten Hugenotten Zuflucht in Brandenburg. Daran anknüpfend gibt es seit 2008 das Neue Potsdamer Toleranzedikt.

»Wir haben nie Schwierigkeiten, bei rechten Kundgebungen genug Gegendemonstranten auf die Straße zu bringen«, nennt Ursula Löbel ein Beispiel für die unter dem Strich guten Bedingungen in der Stadt.

Warum dann ausgerechnet hier ein Antidiskriminierungsbüro? Dafür spricht nach Ansicht von Marcus Reinert, dass der Ausländeranteil in der Stadt bei 6,5 Prozent liegt, in ganz Brandenburg nur bei 3,6 Prozent. Der höhere Anteil erklärt sich leicht. Es leben in Potsdam längst nicht nur Flüchtlinge, sondern auch viele Studenten aus dem Ausland und darüber hinaus Menschen aus aller Welt, die aus beruflichen Gründen hergezogen sind.

Bekannt ist die Opferperspektive dafür, dass sie Opfer rechter Gewalt betreut. Was dies betrifft, hat der Verein einen sehr guten Einblick und kann beispielsweise genau sagen, dass Potsdam kein Schwerpunkt neofaschistischer Umtriebe ist. Der Schwerpunkt liegt ganz klar in Südbrandenburg, weiß Geschäftsführerin Porath.

Doch über das Ausmaß der rassistischen Diskriminierung in Brandenburg hat die Opferperspektive keine Übersicht. Fakt ist, dass der Verein im Jahr 2015 in 69 Fällen beraten hat, davon 25 Fälle aus Potsdam. 2016 gab es insgesamt 80 Fälle und 15 aus Potsdam. Den hohen Potsdamer Anteil, der nicht zum an sich guten Klima in der Stadt zu passen scheint, erklärt sich Reinert damit, dass die Opferperspektive in Potsdam gut vernetzt ist und ihre Beratungsangebote hier deswegen bekannter sind als anderswo. Wenn sich herumgesprochen habe, dass es nun eine Anlaufstelle gebe, werde die Antidiskriminierungsberatung noch stärker nachgefragt werden, erwartet Reinert. Er berichtet, dass ihm in seiner Tätigkeit noch nie jemand untergekommen sei, der nicht früher schon Beleidigungen und Zurücksetzungen erleben musste. Alle seien erst gekommen, als sich etwas besonders Krasses ereignete.

Zunächst einmal sind die Gespräche grundsätzlich vertraulich. Auf Wunsch macht die Opferperspektive einzelne Fälle auch öffentlich, um Missstände anzuprangern. Mancher, so Reinert, wünscht sich eine solche Vorgehensweise nicht, möchte aber, dass sein Fall dokumentiert wird und anonym in der Statistik auftaucht.

Abhilfe kann auf verschiedenen Wegen geschaffen werden. Nicht immer müssen die Opfer gleich vor Gericht ziehen, wiewohl ein Anspruch auf finanzielle Entschädigung bestehen kann. Was möglich ist, erläutert Reinert anhand des Beispiels, dass ein Mieter fortwährend von seinen Nachbarn rassistisch angepöbelt wird. Wenn Abmahnungen durch die Hausverwaltung nicht fruchten, könne die Opferperspektive auch bei einem Umzug helfen.

Nicht eingreifen kann die Opferperspektive, wenn sich bei ihr Behinderte, Frauen oder Lesben und Schwule melden, die sich aufgrund ihrer körperlichen Einschränkung, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert fühlen. Dafür sind andere zuständig. Die Opferperspektive vermittelt diese Menschen dann aber weiter. So bekam Reinert neulich eine E-Mail von einem Homosexuellen und verwies ihn an den Verband Andersartig.

Antidiskriminierungsberatung Brandenburg, Rudolf-Breitscheid-Straße 164 in Potsdam, Tel.: (0331) 58 10 76 76, antidiskriminierungsberatung-brandenburg.de

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