Vorhersehbarer Streit

Jörg Meyer über die Verhandlung um das Tarifeinheitsgesetz

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 2 Min.

Den Vorwurf, sie habe das Gesetz zur Tarifeinheit in Reaktion auf große Streiks erlassen, wies Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) am Mittwoch vor dem Bundesverfassungsgericht zurück als »schlicht falsch« zurück. Das Gesetz, über das in dieser Woche zwei Tage lang in Karlsruhe verhandelt wurde, regelt, dass in Betrieben, in denen mehrere Gewerkschaften aktiv sind, nur die mitgliederstärkste einen Tarifvertrag abschließen kann.

Anlass für die Regelung sei die geänderte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) in Erfurt gewesen, sagte Nahles. Seitdem das BAG das Prinzip »ein Betrieb - ein Tarifvertrag« 2010 gekippt hatte, hätten Machtkämpfe zwischen Gewerkschaften zugenommen. Sie wollte einen Anreiz schaffen, dass die Gewerkschaften miteinander reden und es zu weniger Arbeitskämpfen kommt. Die kleinen, aber mächtigen Berufsgewerkschaften fürchten indes um ihre Existenz und legten, wie auch ver.di, Verfassungsbeschwerde ein.

Dass es überhaupt zu den für alle Beteiligten schmerzhaften Streiks beispielsweise bei der Bahn, der Lufthansa und in Kliniken gekommen ist, war Ergebnis einer Privatisierungs- und Sparpolitik, unter der in erster Linie die Beschäftigten ehemaliger Staatsunternehmen - ob nun Ärztin oder Pfleger, Tragflächenenteiser oder Pilotin - zu leiden hatten und bis heute leiden. Mithin: gute Gründe für gewerkschaftliche Gegenwehr. Dass überdies Berufsgewerkschaften sich neu gründeten oder aus Tarifkooperationen mit DGB-Gewerkschaften ausstiegen, kann nicht ihnen allein angelastet werden. Einerseits kann man der Piloten- oder der Ärztegewerkschaft zu Recht stellenweise mangelnde Solidarität und Elitendenken vorwerfen. Andererseits haben es die DGB-Gewerkschaften versäumt, sich rechtzeitig um ihre sich nicht mehr von ihnen vertreten fühlenden »Eliten« richtig zu kümmern.

Das Urteil des BAG war eine Reaktion auf diese veränderte Gewerkschaftslandschaft. Erfurt hat damit richtig auf die Veränderungen reagiert und ein überkommenes Prinzip gekippt. Tarifkooperation ist möglich und immer wieder Praxis - auch wenn sich einzelne Gewerkschaften spinnefeind sind.

Das Tarifeinheitsgesetz hat bislang keinen Anreiz zu gewerkschaftlicher Kooperation geschaffen, sondern sorgt seit Jahren für Streit zwischen allen Beteiligten - auch innerhalb der DGB-Familie.

Und es gab von Anfang an Kritik am Gesetz wegen handwerklicher Mängel, der Unklarheiten, an welcher Stelle es zur Anwendung kommt, was das für die Tariferhöhungen der Beschäftigten heißt. Nein, Andrea Nahles hat das Gesetz nicht aus bösem Willen auf den Weg gebracht. Aber sie hätte wissen können, dass es ihr um die Ohren fliegt. Einfach nur zu warten, dass Karlsruhe es schon regeln wird, ist nicht nur Ressourcenverschwendung, sondern auch schlechtes gesetzgeberisches Handwerk.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal