Neuer Skandal in der Bundeswehr: Pfullendorfer Perversitäten

Schule für Elitekämpfer duldete menschenunwürdige Ausbildungsmethoden

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

»Sexuelle Orientierung und Identität in der Bundeswehr« - zu diesem Thema hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) für Dienstag zu einem sogenannten Workshop eingeladen. Man erwartet um die 200 Gäste aus allen gesellschaftlichen Bereichen. In der Einladung heißt es: Ziel sei, in der Truppe Wissen darüber zu verbreiten, wie ein Arbeitsumfeld gestaltet werden kann, in dem sich Bundeswehrangehörige »respektiert fühlen und einbringen können«.

Man bezieht sich auf das 2016 veröffentlichten Weißbuch und auch laut der vor wenigen Wochen verabschiedeten Personalstrategie profitiert die Truppe »von der Vielfalt der Menschen, ungeachtet ihrer Herkunft, Religion, sexuellen Orientierung oder Identität, Behinderung, ihres Geschlechts und ihres Alters«. Denn dazu schaffe die Bundeswehr »zeitgemäße Lösungsansätze und nutzt multiple Kompetenzen«. Genau an diesen Kompetenzen muss es einigen Kommandeuren nicht nur im Pfullendorfer Ausbildungszentrum Spezielle Operationen mangeln. Denn sonst wäre nicht geschehen, was jetzt weithin Entsetzen auslöst.

Das Ausmaß des Skandals ist laut Bundeswehr nicht absehbar. Sieben Mannschaftssoldaten wurden bereits aus dem Dienst entfernt. Es gab Versetzungen, weitere personelle Konsequenzen sind wahrscheinlich. Denn noch überblicke man das Ausmaß des Skandals nicht gänzlich, hört man aus der zuständigen Heeresführung. Bei der Aufklärung habe man sich der Mithilfe der Staatsanwaltschaft in Hechingen versichert.

Das Verteidigungsministerium gab eine umfangreiche Stellungnahme heraus. Darin heißt es, Anteile der sanitätsdienstlichen Combat-First-Responder-Ausbildung seien »hinsichtlich des Gebotes zur Achtung der Würde des Menschen, der sexuellen Selbstbestimmung und des Schamgefühls unangemessen«. Zudem hätten sich Hinweise auf Mobbing bestätigt.

Diese Vorgänge wiegen »umso schwerer, als bereits früher Hinweise auf Missstände und frauenfeindliches Klima in einer anderen Teileinheit des Ausbildungszentrums« in Rede standen. Bekannt wurden auch »Aufnahmerituale« unter Mannschaftsdienstgraden, bei denen es wiederholt zu Misshandlungen gekommen ist.

Ein Satz, der ministeriellen Erklärung zielt jedoch meterweit am Problem vorbei: »Vorgesetzte waren nach derzeitigem Stand der Ermittlungen an den Geschehnissen nicht beteiligt.« Kann es den Vorgesetzten - angefangen bei Hauptfeldwebeln über Kompaniechefs bis zur Einheitsführung - verborgen geblieben sein, was da in der Stauffer-Kaserne ablief? Absurd, und so spricht die Heeresführung unter Generalleutnant Jörg Vollmer auch davon, dass die Häufung der bisher bekannt gewordenen Ereignisse »gravierende Defizite in der Führung« offenbarten. »Nicht zu tolerieren« sei das, sagt Vollmer und verspricht, dass die Verfehlungen »mit aller Konsequenz« geahndet werden. Der Wehrbeauftragte, an den die perversen »Ausbildungsmethoden« auch herangetragen worden waren, fand die Begriffe »inakzeptabel« und »unsoldatisch«.

Auffallend ist: Derartige Vorfalle ereignen sich immer wieder gerade in Spezialeinheiten. Bis 2003 hatte in Pfullendorf die Fernspähschule der Bundeswehr ihren Sitz. Dort wurden die Härtesten der Harten auch aus anderen NATO-Armeen geschliffen. So ist das noch heute unter dem Kommando der Division Schnelle Kräfte. In der Staufer-Kaserne und an ausgelagerten Ausbildungsstätten bekommen die Elitekämpfer der Bundeswehr alles vermittelt, was ihnen im Einsatz, ganz gleich wo auf der Welt, Überlegenheit und Überleben garantieren soll. Sie werden in der Planung von Spezialoperationen geschult und zu Scharfschützen ausgebildet. Häuserkampf spielt eine zunehmende Rolle. Gleiches gilt für die Combat-First-Responder-Ausbildung (CFR), die Auslöser des neuerlichen Bundeswehrskandals ist.

Die sogenannte Durchfallerquote beim CFR-Drill liegt zwischen 12 und 15 Prozent. Wer die Prüfungen der seit 2007 angebotene theoretischen und praktischen Ausbildung jedoch besteht, ist fähig, bei besonders gefährlichen Missionen die erste Notversorgung von Verletzten oder Verwundeten zu sichern. Dabei dürfen die Soldaten Dinge tun, die in Deutschland ausdrücklich Ärzten vorbehalten sind, zum Beispiel Infusionen legen oder die Atemwege intubieren.

Nun jedoch werden sich viele der »Pfullendorfer«, die in verschiedensten Einheiten dienen, erst einmal als Zeugen äußern müssen. Oder als Beschuldigte. Von der Leyen hat angekündigt, den Skandal »mit aller Härte« aufzuklären. Dass der für Dienstag von ihr geplante Workshop seinen ursprünglichen Verlauf nehmen kann, scheint nach aktuellem Stand des Skandals unwahrscheinlich.

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