Werbung

Im Auftrag der Allgemeinheit - offiziell

Unter dem Label »gemeinnützig« vertreten unternehmensnahe Stiftungen die Interessen von Konzernen

  • Josephine Schulz
  • Lesedauer: 4 Min.

Die rechtliche Definition von Gemeinnützigkeit lässt einigen Interpretationsspielraum offen. Das zeigte zuletzt die Debatte um den Verein Attac. Das Finanzamt erkannte den Globalisierungsgegnern die Gemeinnützigkeit ab, weil der Verein politische Ziele verfolge, das Gericht entschied daraufhin, dass auch politische Ziele durchaus gemeinnützig sein könnten. Von Unterstützern wurde dies als Sieg der Zivilgesellschaft gefeiert. Die Debatte um Gemeinnützigkeit ist damit jedoch keinesfalls beendet. Denn wo einerseits für eine weitere Auslegung plädiert wird - etwa bei Attac - fordern Kritiker andererseits strengere Regeln - beispielsweise beim ADAC.

Organisationen, die »selbstlos und im Sinne der Allgemeinheit« handeln, profitieren von weitreichenden Steuererleichterungen. Die Grenze zwischen Gemeinwohl und Partikularinteressen lässt sich jedoch pauschal schwer bestimmen. Das gilt auch für unternehmensnahe Stiftungen, denen das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) eine Studie gewidmet hat. Ihr Fazit: Es bestehen erhebliche Zweifel, dass unternehmensnahe Stiftungen ihrem Anspruch gerecht werden, gemeinwohlorientiert und in maximalem Maße unternehmensfern zu sein.

In den vergangenen Jahren erlebte Deutschland einen regelrechten Stiftungsboom. Laut dem Bundesverband deutscher Stiftungen gab es Ende 2015 rund 21 000 Stiftungen, 2001 waren es rund 10 000 und 2008 etwa 15 000. Rund 95 Prozent der Stiftungen sind als gemeinnützig anerkannt. Ein Grund für den Boom liegt wohl auch in den Reformen des Stiftungsrechts von 2002 und 2007, bei denen die steuerliche Begünstigung wiederholt ausgeweitet wurde. Der Begünstigung sollte ursprünglich auch eine Gesetzesänderung zur höheren Transparenz von Stiftungen folgen - diese blieb jedoch bis heute aus.

Stiftungen waren und sind insofern auch ein beliebte Variante für Unternehmer, um die Erbschaftssteuer zu umgehen oder Gewinne im Unternehmen zu halten. Pläne zu einer neuen Reform, bei der auch Transparenzvorschriften eine Rolle spielen sollen, gibt es bereits seit einiger Zeit. Zur Vorbereitung wurde 2014 eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt. Der große Wurf ist jedoch eher nicht zu erwarten. Denn Stiftungen sind nicht nur effektive Lobbyisten für bestimmte wirtschaftliche Akteure, sondern auch für ihre eigenen Interessen. So werden beispielsweise die meisten Studien über Stiftungen von eben solchen in Auftrag gegeben und finanziert.

Im Alltag ist der politische Einfluss von Stiftungen allerdings oft wenig präsent. Anders sieht das in den USA aus, wo die Arbeit von Unternehmensstiftungen von der Öffentlichkeit teilweise extrem kritisch gesehen wird. So beschrieb etwa eine Historikerin der CIA, Frances Stonor Saunders, die Ford- und Rockefeller-Stiftungen als »bewusste Instrumente verdeckter amerikanischer Politik, mit Direktoren und Offizieren, die in enger Verbindung mit amerikanischen Geheimdiensten standen oder sogar deren Mitarbeiter waren.«

Schaut man sich die Leitbilder von gemeinnützigen, unternehmensnahen Stiftungen in Deutschland an, verstehen sich diese als Teil der Zivilgesellschaft und in der Regel als unabhängig, überparteilich oder weltanschaulich neutral. Um herauszufinden, inwieweit der Anspruch mit der Realität korrespondiert, haben die WZB-Autoren unter anderem die personellen Verflechtungen zwischen Stiftung und Unternehmen untersucht. Demnach stammen 44 Prozent der Gremienmitglieder in den rund 80 untersuchten Stiftungen aus der Privatwirtschaft. Rund 20 Prozent haben eine Position im dazugehörigen Unternehmen inne. Am stärksten ist die Personalunion demnach bei der Telekom Stiftung, danach folgen die Körber-Stiftung, die RWE-Stiftung, die Bertelsmann- und die BMW-Stiftung.

Ein Großteil der unternehmensnahen Stiftungen fördert Projekte in der Wissenschaft. Studien erscheinen auch in der Öffentlichkeit dabei oft als Ansammlung neutraler Fakten. Bei rund 41 Prozent der Stiftungen stellten die Autoren jedoch eine Überschneidung der geförderten Forschung mit dem Unternehmensinteresse fest. So untersucht etwa das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft im Auftrag der RWE-Stiftung, »welche Gründe Nutzer daran hindern, sich für intelligente Stromtechnologien zu interessieren«. Dabei wird auch erforscht, wie die Anbieterseite durch nutzerzentrierte Geschäftsmodelle diese Entwicklung unterstützen kann. Die L’Oréal-Stiftung beschreibt ihr gemeinwohlorientiertes Engagement wie folgt: »Wenn Sie jemandem dabei helfen, sein Aussehen wiederherzustellen, dann fühlt sich diese Person wieder in die Gesellschaft eingegliedert, gewinnt Würde und Selbstvertrauen.« Die Stiftung vergibt Forschungsstipendien, mit denen sie »die Erarbeitung und Verbreitung von Wissen über die Bedeutung des physischen Aussehens« ermitteln will.

Neben der Forschungsfinanzierung widmen sich laut WZB-Studie rund 43 Prozent der untersuchten Stiftungen der direkten Politikberatung. Oft funktioniert das über luxuriöse Events, bei denen Politiker und Wirtschaftsvertreter sich vernetzen können. Der Munich Economic Summit beispielsweise, getragen von der BMW-Stiftung, versteht sich als »politische Plattform für einen intensiven Dialog über Kernfragen der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa und der Welt«. Die Einladungsliste liest sich wie ein Who is Who der Industrie-, Finanz- und Versicherungswirtschaft sowie nationaler und europäischer Politiker. Die Robert-Bosch-Stiftung initiierte neben zahlreichen Konferenzen auch die »Expertenkommission zur Neuausrichtung der Flüchtlingspolitik«. In ihr brachte sie zehn hochrangige Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammen, um konkrete Reformvorschläge zur deutschen Flüchtlingspolitik zu entwickeln. Den Kommissionsvorsitz führte Armin Laschet, der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion in NRW.

Beispiele dieser Art gibt es unzählige. Transparenzregeln könnten der Öffentlichkeit Zugang zu diesen Praktiken ermöglichen. Aber ähnlich wie bei anderen Interessenvertretern lässt sich auch für unternehmensnahe Stiftungen am Ende kaum ermitteln, welchen Einfluss die zahlreichen Studien und Events tatsächlich auf politische Entscheidungen haben.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal