Die Waffenruhe ist gescheitert

Alexander Ocampo und José Santos Guevara über die Eindämmung der Gewalt von Jugendbanden in El Salvador

  • Tobias Lambert
  • Lesedauer: 5 Min.

Die rechten Regierungen der ARENA-Partei, die in El Salvador bis 2009 an der Macht war, scheiterten mit ihrer Politik der »harten« und »superharten« Hand zur Bekämpfung der Jugendbanden. Die linke FMLN wählte ab 2012 einen gänzlich anderen Ansatz. Worin bestand der?
José Santos Guevara (JSG): Die Regierung unter Mauricio Funes vermittelte ein als Waffenruhe bezeichnetes Abkommen zwischen den beiden großen Maras MS 13 und Barrio 18. Zu dem Zeitpunkt hatte El Salvador mit 13,6 Morden am Tag eine der höchsten Mordraten der Welt. Um diese zu senken, gewährte die Regierung den Bandenmitgliedern verschiedene Privilegien. Die Anführer wurden aus den Hochsicherheitsgefängnissen in gewöhnliche Haftanstalten verlegt, bekamen Kabelfernsehen und konnten frei nach außen kommunizieren. Die Anzahl der Morde ging dann tatsächlich auf 5,7 pro Tag zurück. Zum Ende der Amtszeit der Regierung Funes galt die Waffenruhe aber als gescheitert.

Woran lag das?
JSG: Andere Straftaten, wie das gewaltsame Verschwindenlassen von Menschen und Schutzgelderpressung, häuften sich. Und weil die Repression nachließ, konnten sich die Banden reorganisieren und in ganz neue Territorien vordringen. Funes’ Nachfolger Salvador Sánchez Cerén präsentierte nach Gesprächen mit verschiedenen Sektoren dann den Plan El Salvador Seguro (Sicheres El Salvador) als integrale Strategie, die sowohl auf Repression als auch Prävention basieren soll. Doch tatsächlich ging es vor allem um die offene Bekämpfung der Maras. Etwas später verkündete die Regierung dann die sogenannten außergewöhnlichen Maßnahmen. Um die Banden frontal zu bekämpfen, gründete sie militärische Eliteeinheiten und verbesserte die Bewaffnung der Polizei.

José Santos Guevara und Alexander Ocampo

Laut Schätzungen verfügen die in Zentralamerika verbreiteten, als Maras oder Pandillas bekannten Jugendbanden alleine in El Salvador über bis zu 60 000 Mitglieder. José Santos Guevara ist Direktor von ACUDESBAL, einer Basisorganisation für wirtschaftliche und soziale Entwicklung in der Region Bajo Lempa. Seine Organisation und die nahe gelegenen Gemeinden sind direkt von der Gewalt durch Jugendbanden betroffen. Alexander Ocampo arbeitet unter anderem Namen als Psychologe in der Gewaltprävention sowie mit ehemaligen Bandenmitgliedern. Mit Ihnen sprach für »nd« Tobias Lambert.

Mit welchen Ergebnissen?
JSG: 40 000 mutmaßliche Bandenmitglieder wurden festgenommen, die meisten wegen fehlender Beweise jedoch nach drei Tagen wieder auf freien Fuß gesetzt. Nach drei Monaten hatten sich die Maras aus einigen Regionen wie bei uns in Bajo Lempa wieder weitgehend zurückgezogen. Aber die Anzahl der Morde ist nicht nennenswert gesunken. Trotz der Repression ist die Gewalt also überhaupt nicht unter Kontrolle.

Was müsste der Staat aus Ihrer Perspektive tun?
Alexander Ocampo (AO): Natürlich muss die Polizei gegen die Banden vorgehen, so lange sie dabei die Menschenrechte achtet. Aber wenn wir nicht die Korruption beenden und es nicht schaffen, den Menschen ein würdiges Leben zu ermöglichen, wird sich nichts grundlegend verändern.

JSG: Es schmerzt, Jugendliche zu sehen, die keine Zukunft haben, keine Bildung bekommen und keine Arbeit finden können. Für die Gewalt gibt es strukturelle Ursachen, etwa die ungerechte Verteilung des Reichtums und die fehlenden Möglichkeiten für die ärmeren Schichten.

Herr Ocampo, Sie arbeiten im Bereich der Gewaltprävention und der Wiedereingliederung ehemaliger Bandenmitglieder. Wie schafft es ein Jugendlicher, aus einer Mara auszusteigen?
AO: Man muss um Erlaubnis bitten, die dann nach einem längeren Prozess gewährt werden kann. Viele haben die Gewalt satt, sie wollen keine mehr ausüben und auch keine mehr selbst erleben. Das trifft vor allem auf Leute zu, die eine Familie gründen, weswegen dies auch ein häufiger Austrittsgrund ist. Auch wer sich zum Evangelikalismus bekennt, darf die Bande verlassen, denn dort stehen die Leute anders als bei der katholischen Kirche unter sozialer Kontrolle. Wer täglich zum Gottesdienst geht, kommt nicht auf den Gedanken, jemanden zu verraten. Aber wer aussteigt, muss in dem Viertel wohnen bleiben, das die jeweilige Mara kontrolliert. Andere Bandenmitglieder haben weiterhin ein Auge auf dich.

Wie läuft eine Wiedereingliederung ab?
AO: Häufig geht es darum, die Jugendlichen überhaupt erstmals in die Gesellschaft einzugliedern. Wir betreuen die Aussteiger psychologisch, entwickeln mit ihnen so etwas wie einen Lebensplan und arbeiten an wirtschaftlichen Perspektiven. Die Jugendlichen haben außerhalb der Bande meist kein soziales Umfeld und brauchen eine Arbeit. Es reicht nicht, wenn sie für sich wissen, dass sie ein anderes Leben haben wollen, man muss ihnen etwas Konkretes anbieten. Das Problem ist, dass es nur wenige Unternehmen gibt, die überhaupt ehemalige Bandenmitglieder einstellen. Und für die Aussteiger ist es auch nicht einfach. Sie müssen sich anpassen und für einen Mindestlohn von 250 US-Dollar im Monat täglich acht Stunden lang arbeiten. Bei der Mara können sie soviel innerhalb von zwei Tagen verdienen. Aber dafür bekommen sie ein ruhiges Leben ohne Gewalt.

Der US-Präsident Donald Trump hat im Wahlkampf angekündigt, Millionen lateinamerikanische Migrant*innen abschieben zu wollen. Die heutigen Jugendbanden wurden in den 1990er Jahren von aus den USA deportierten Jugendlichen in Zentralamerika etabliert. Welche Auswirkungen befürchten Sie, sollte Trump seine Drohungen wahr machen?
AO: Ich hoffe, dass er sich als Lügner entpuppt und seine Ankündigungen nicht umsetzt. Schon jetzt werden sehr viele Menschen nach El Salvador abgeschoben. Und das sind häufig Leute, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind.

JSG: Die Abgeschobenen könnten sich den Maras anschließen, was die Situation in Zentralamerika verschärfen würde. Aber ich halte es nicht für sehr wahrscheinlich, dass Donald Trump alles tut, was er im Wahlkampf angekündigt hat. Die US-Wirtschaft ist auf die Migranten angewiesen. Sie sind doch nicht dort und halten die Hand auf, sondern übernehmen häufig die Arbeiten, die die Weißen selbst nicht machen wollen.

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