Mit Speck fängt man Mäuse

Ein Jahr Mietzuschuss für Sozialwohnungen / Nachwasch mit den letzten Zahlen

  • Martin Hardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit einem Jahr können Mieter von Sozialwohnungen des ersten Förderwegs einen Mietzuschuss erhalten, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Von den 116 000 Berliner antragsberechtigten Haushalten kommen in einem Sachstandsbericht vom 31. Oktober 2016 aus Sicht der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt zwar nur 14 000 bis 17 000, bei einer ungünstigeren Entwicklung 21.000 Haushalte, für den Mietzuschuss in Frage, und trotzdem bleibt die Quote von 1429 Erstanträgen und nur 598 Bewilligungen zum Stichtag 31.12.2016 erstaunlich niedrig. Wie kommt es, dass viele Sozialwohnungsmieter im Durchschnitt auf 94,90 € im Monat Mietzuschuss verzichtet haben?

In dem Bericht vom Oktober, der auf den praktischen Erkenntnissen der Vormonate aufbaut, heißt es: »Aus den bisherigen Erfahrungen erweist sich die Zielgruppe als nur schwer motivierbar, aktiv Zuwendungsansprüche durch Antragsstellung wahrzunehmen. Zudem stellt sich speziell beim Mietzuschuss die Problematik, dass ... die notwendige Datenerfassung aber den Charakter einer Überprüfung der allgemeinen Berechtigung für Sozialwohnungen hat. Neben mangelnder Kenntnis oder Aufwandsbereitschaft der Zielgruppe ist der Faktor des Verzichts auf Antragsstellung wegen befürchteter Nachteile insbesondere bei älteren, als Familien eingezogenen und nunmehr als 1-/2-Personen-Haushalte verbliebenen Haushalten einzubeziehen.« Problem verstanden?

Vielleicht hilft ein Blick in den Flyer der Senatsverwaltung, der den Mietzuschuss bekannter machen soll und unter www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/mietzuschuss/download/Flyer_Mietzuschuss.pdf nachzulesen ist. Nein, man möchte nach der Lektüre nicht wirklich nachfragen, ob bei dem Rechenbeispiel, wohl für Familien im weitesten Sinne, wirklich »2 Angestellte, 2 Kinder« gemeint sein könnten. Das wäre schon Antwort genug für so manchen nicht gestellten Antrag. Aber was ist der »erste Förderweg« im Sozialwohnungsbau? Er beschreibt im Groben die Bauförderung im sozialen Wohnungsbau für private Investoren bis 1991. Das könnte ein Antragsteller zumindest schätzen. Vielleicht hat man ja auch den verlangten Wohnberechtigungsschein (WBS), der meistens die Bedingung für den Erhalt einer Sozialwohnung ist. Dann müsste dem Mieter sein »anrechenbares Einkommen« bekannt sein, von dem die Nettokaltmiete mehr als 30 Prozent ausmachen müsste, um den Mietzuschuss zu bekommen. Ohne WBS könnte es gleich mehrere Gründe geben, auf die genannten im Schnitt 94,90 Euro monatlich zu verzichten. Einer davon ist der mögliche Verlust einer, zugegeben, preiswerten Wohnung.

Fairerweise sollte gesagt sein, dass die Firma zgs consult Gmbh von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt zur Umsetzung und Hilfestellung bei der Antragsabgabe bestellt wurde. Sie soll den Antragsstellern auch helfen, festzustellen, welche Energieeffizienzklasse ihr Haus zum Beispiel hat, oder ob das Jobcenter respektive das Sozialamt »nicht mehr die volle Bruttokaltmiete übernimmt«, wie im Flyer verkündet.

Fair ist aber auch festzustellen, dass im Jahr 2016 »die städtischen Wohnungsbaugesellschaften zudem aufgrund eines Kooperationsvertrages berechtigt (sind, Anm.), die Wohnberechtigung für eine Sozialwohnung selbst zu prüfen.« Das steht in der Internet-Mietfibel der besagten Senatsverwaltung unter dem Stichpunkt »Wohnungsarten und Wohnungsanmietung«. Ein Schelm, wer glaubt, dass sich das bei den Mietern nicht herumsprach.

Und so muten die Vorschläge im zu Anfang genannten Sachstandsbericht, die Bereitschaft der Sozialwohnungsmieter einen Antrag auf Mietzuschuss zu stellen, weiterhin hilflos an. Man will in erster Linie die Kommunikation des Mietzuschusses verbessern und Vertrauen gewinnen. Der Satz »Ist die Wohnung unangemessen groß, kann für die angemessene Wohnfläche trotzdem der Mietzuschuss gezahlt werden.« steht schon im zitierten Flyer. »Mit Speck fängt man Mäuse«, dürfte sich da mancher Leser schon gedacht haben. Sinngemäß hat die Erkenntnis aber wohl in allen Sprachen ein Pendant.

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