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Die Zivilgesellschaft wird eingeschüchtert
Beratungsstelle Borg registriert Höchststand rechter Vorfälle in Märkisch-Oderland
19. Januar 2024: Vor dem alten Finanzamt der Stadt, in dem sich regelmäßig das Bündnis »Bad Freienwalde ist bunt« trifft, finden sich mehrere Aufkleber »Remigration« der AfD-Jugendorganisation »Junge Alternative«. Diese wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft und löst sich Ende März 2025 auf.
18. Februar: Ein syrischer Angestellter einer Tankstelle wird rassistisch beleidigt und angegriffen.
30. April: Die damalige Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) wird im Schloss bedrängt und bekommt zu hören: »Du solltest Angst haben. Du entkommst uns nicht!«
2. Juni: Am Rande des Festes »Bad Freienwalde ist bunt« wird ein Hitlergruß gezeigt und jemand macht aus einem vorbeifahrenden Auto eine Geste, als würde er auf die Feiernden schießen.
10. Juni: Jugendliche beleidigen am Bahnhof eine Person rassistisch und rufen: »Ausländer raus!«
14. September: Die AfD macht Wahlkampf auf dem Marktplatz.
22. Dezember: Eine Frau wird wegen verfassungsfeindlicher Aufkleber an ihrem Auto angehalten. Sie hat illegale Pyrotechnik und Waffen dabei.
Das alles hat sich in Bad Freienwalde zugetragen und steht so in einer Chronik rechter Vorfälle des vergangenen Jahres, vorgestellt am Donnerstagabend in Strausberg von der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in Märkisch-Oderland (Borg). Insgesamt hat die Beratungsstelle 384 Vorfälle aus dem Landkreis zusammengetragen.
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Allein 116 Vorfälle in Strausberg
Bad Freienwalde sticht mit 39 Vorfällen heraus. Doch für Müncheberg wurden immerhin 37 Vorfälle registriert und für Neuenhagen 48, für Strausberg sogar 116 Vorfälle. Mal werden in Märkisch-Oderland Hakenkreuze geschmiert (43 Fälle sind erfasst), mal wird »Hitler« an einen Jugendklub in Hönow geschrieben. In Strausberg werden verschiedene Personen nicht nur rassistisch beleidigt, sondern auch geschubst, getreten und geschlagen. In Rehfelde wird das vor einem Laden abgestellte Fahrrad einer schwarzen Frau kaputt gemacht, die dort zuvor schon mehrfach bedroht und beleidigt wurde.
142 erfasste Vorfälle sind Beispiele rechter Propaganda, insbesondere durch Aufkleber. »Sie sind einfach zu erhalten und der Inhalt wird massenkompatibler«, erklärt Tom Kurz von Borg. Die Beratungsstelle wurde 2002 gegründet und sie hat seitdem für kein Jahr mehr rechte Vorfälle in Märkisch-Oderland registriert als für das vergangene. Das hängt auch damit zusammen, dass 2024 ein Jahr mit Europa-, Kommunal- und Landtagswahlen war. Doch es hat in Brandenburg 2009 ein solches Superwahljahr schon einmal gegeben.
Wahlplakate beschmiert
Vor den Wahlen 2024 wurden Plakate der CDU, der SPD, der Linken und der Grünen beschmiert (19 Fälle) und am 13. April wurden zwei Wahlkämpfer der Grünen beim Aufhängen von Plakaten in Rüdersdorf von einem Mann angegangen. Der Mann offenbarte sich als AfD-Wähler und kündigte an, dass er »die Scheiße gleich wieder abhängt«. Er drohte außerdem: »Gleich knallt’s!« 74 rechte Vorfälle im Zusammenhang mit den Wahlen hat Borg erfasst, wobei die Beratungsstelle 37 Wahlkampfaktivitäten der AfD mitrechnete.
»Nicht nur die hohe Dichte an extrem rechter Propaganda, Bedrohung und Zerstörung von Wahlplakaten sind besorgniserregend, sondern auch die Wahlergebnisse selbst«, heißt es in der Chronik. Mit 29 Prozent der Stimmen habe die AfD 16 von 56 Sitzen im Kreistag bekommen und bei der Landtagswahl in Märkisch-Oderland 31,3 Prozent der Stimmen erhalten, in einigen Städten wie Wriezen und in verschiedenen Gemeinden im Oderbruch sogar mehr als 40 Prozent. Brandenburgweit war die AfD bei der Landtagswahl auf 29,2 Prozent gekommen.
Borg erfasst selbst Vorfälle und sichtet Presse- und Polizeimeldungen. Dann gleicht die Beratungsstelle ihre Zahlen noch mit denen der Brandenburger Opferperspektive ab. Insgesamt kommt es im vergangenen Jahr zu mindestens 14 rechten Gewalttaten in Märkisch-Oderland, wobei das nur die bekannt gewordenen sind. »Der Rückgang registrierter Angriffe gegenüber dem Vorjahr 2023 mit 22 Angriffen stellt keineswegs eine Besserung der Situation dar«, erläutert Julian Muckel vom Verein Opferperspektive. »Vielmehr zeigt es, dass rechte Einschüchterungsversuche zum Teil erfolgreich sind und Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft ihr Engagement zurückfahren und von Rechten dominierte Orte meiden.«
Zweite Durchsuchung in Bliesdorf
Festgehalten in der Chronik ist auch, dass die Polizei mehrere Wohnungen und Häuser in Berlin und Brandenburg durchsuchte und dabei auch ein Haus in Bliesdorf, nachdem die neofaschistische Nationalrevolutionäre Jugend im Juli 2024 am Berliner Bahnhof Ostkreuz Antifaschisten angegriffen hatte. Ein Haus in Bliesdorf ist nun kürzlich erneut durchsucht worden. Ein dort bei seinen Eltern wohnender junger Mann soll im Verdacht stehen, im Juni 2025 an einer Attacke auf eine Kundgebung von »Bad Freienwalde ist bunt« beteiligt gewesen zu sein. Dort stürmte ein Dutzend Vermummte mit Schlagstöcken zwischen Standbetreiber und Besucher und verletzte mindestens drei Menschen. Der Verdächtige soll der Kleinstpartei »Der dritte Weg« nahestehen. Die Nationalrevolutionäre Jugend ist ihre Nachwuchsorganisation.
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