Gestorben wird halt immer

Im unterfränkischen Münnerstadt wird das fachgerechte Beerdigen gelehrt

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.
»Ich bitte Sie, sich zu erheben, damit wir gemeinsam das Vater-unser sprechen können.« Der junge Mann, der das sagt, trägt zwar einen schwarzen Kittel, doch der Pfarrer ist es nicht. Dieser habe auf dem Weg zur Trauerfeier leider einen Unfall gehabt, erklärt er. Und so bitte er die Anwesenden um Verständnis, dass er nun das Zepter übernehme, um dem teuren Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen.
Die Trauernden sind allerdings ebenso wenig echt wie die ganze Kapelle samt Sarg, Kränzen, Kerzen und Altar. Denn hier findet lediglich eine praktische Übungsstunde statt. Nüchtern betrachtet ist es ein Seminar darüber, wie man jemanden richtig und angemessen unter die Erde bringt.
Vis-à-vis proben derweil andere eine besonders schmerzvolle Gedenkstunde für ein verstorbenes Kind. Zwei Türen weiter erläutern Experten, wie man das Innere eines Sargs fachgerecht bespannt und den Deckel verlötet. Und im Raum nebenan, der mit seiner kühl-reinlichen Befliesung wie ein gerichtsmedizinisches Labor wirkt, lässt sich erfahren, wie ein Toter hygienisch makellos für die letzte Aufbahrung präpariert wird. Übrigens anhand echter Leichname. »Die Hinterbliebenen haben dem natürlich ausdrücklich zugestimmt«, betont Rosina Eckert. Die sanft wirkende Frau ist Chefin eines Hauses im unterfränkischen Münnerstadt, das es so nirgendwo in der Welt ein zweites Mal gibt - ein Ausbildungszentrum für Bestatter. Jeder, der hierzulande von Berufswegen Hinterbliebenen zur Hand geht, kennt den großen lichtdurchfluteten Neubau. Seiteneinsteiger im Metier werden hier zum geprüften Bestatter ausgebildet und junge Schulabgänger absolvieren hier einen Teil ihrer dreijährigen Lehre für den erst 2003 geschaffenen Beruf einer Bestattungsfachkraft.
Fraglos ein etwas tabuisiertes Metier: Tod, Leid und Trauer passen scheinbar nicht in die moderne Spaßgesellschaft. Dabei werden jährlich rund 830 000 Bundesbürger zu Grabe getragen. Doch Rosina Eckert hat »keine Berührungsängste«. Sie kennt die gängigen Vorurteile ebenso wie ihre rund 35 zumeist ehrenamtlichen Dozenten. Einer ist Thorsten Engel, ein 33-jähriger Bestattermeister aus Bad Ems. Er unterrichtet Warenkunde. »Alles rund um Sarg, Kranz, Bestattungswäsche oder Kruzifix«, erläutert der lebenslustige Mann, der sich dennoch nicht jedermann in Bezug auf sein berufliches Tun offenbart. »Wenn wir im Urlaub sind, und es fragt mich jemand, was ich arbeite, kommt nach der Antwort oft ein Schlucken, dann eine kurze Pause.« Manche gäben ihm dann nicht einmal mehr die Hand - »aus Skrupel, weil man es mit Verstorbenen zu tun hat«.
Engel sagt bewusst »Verstorbene«, nicht Tote. Denn eine Leiche sei vom Gesetz her eine Sache. »Wir haben es hier aber mit Menschen zu tun«, betont er. Und was er da betreibe, gemeinsam mit weiteren 4200 Bestattern in deutschen Landen, sei ein verdammt harter Job: keine Freizeit, kein Wochenende, Tag und Nacht müsse man dienstbereit sein, wenn jemand das Zeitliche segne.
Wie einst Engel besuchen derzeit 300 Lehrlinge aus ganz Deutschland das fränkische Zentrum, in das auch reichlich EU-Gelder flossen. »Sie erhalten hier eine überbetriebliche Ausbildung, wie sie der Meister daheim oft nicht bieten kann. Außerdem legen sie bei uns ihre Gesellenprüfungen ab«, berichtet Rosina Eckert. Probleme mit Tod und Sterben habe dabei keiner von ihnen, fügt sie hinzu. Denn zum einen machten sie vor Lehrbeginn ein Praktikum, zum anderen hätten sich alle zuvor mit diesem Thema auseinandergesetzt.
Im Übrigen seien vier Fünftel der jungen Leute, die heute Bestatter werden wollen, Mädchen. Während diese vor allem der behutsame Umgang mit trauernden Angehörigen reize, sei es für Jungs zuerst die Vielseitigkeit des Berufes, weiß die Leiterin. Da ginge es nicht nur um verschiedene Bestattungsarten, wie Erd-, Feuer-, Luft-, See-, Natur- oder anonyme Bestattung. Da müsse man sich, sofern es die Hinterbliebenen wünschen, auch um Todesanzeigen, Kranzspenden, Musikauswahl, Trauerredner, Finanzierungshilfen, Erbschaftsdinge, Betreuungsvollmachten und selbst Organspenden kümmern, außerdem Preise kalkulieren und zuweilen wegen notwendiger Auslandsüberführungen Botschaften kontaktieren. Alles Dinge, die sich im Lehrplan künftiger Bestattungsfachkräfte finden.
Das Schwierigste des Bestatterberufes sei aber nicht die Technik, sondern das Beratungsgespräch mit den Hinterbliebenen, weiß Rosina Eckert. Deshalb finde auch für alle Lehrlinge ein zweiwöchiger Intensivkurs in Trauerpsychologie statt. Und dass es Bestattern offenbar nicht an seelischer Sensibilität mangelt, belegt eine kleine Episode auf dem Lehrfriedhof. Denn fünf Kursanten, die gerade an einem modernen Grabkammersystem arbeiteten, verharren plötzlich erschrocken. Gebannt schauen sie in die tiefe Grube, beratschlagen dann, wer von ihnen hinab- steigt. Sitzt doch unten am Grund eine Erdkröte, die wohl hinuntergestürzt ist und »nun jämmerlich sterben muss, wenn wir sie nicht retten«. Doch ehe sie sich versehen, hüpft das Tier durch ein unterirdisches Rohr davon. Welche Erleichterung geht da durch die Vertreter jenes Standes, den man früher auch den der Totengräber nannte.

www.bestatter.de/Ausbildung
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