Zu flach und zu schmal für moderne Ozeanriesen
Das »Tor zur Welt« liegt tief im Binnenland - Fluch und Segen für Hamburgs Wirtschaft zugleich
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und sein rot-grüner Senat hatten sich bereits vor dem Leipziger Richterspruch klammheimlich von ihrem erst 2013 beschlossenen Hafenentwicklungsplan »Hamburg hält Kurs« verabschiedet. Dieser prognostiziert für das Jahr 2025 noch 25 Millionen Container, während im vergangenen Jahr laut bisherigen Schätzungen gerade mal etwa 9 Millionen verladen wurden. Offizielle Zahlen werden kommende Woche veröffentlicht, doch Wirtschaftssenator Frank Horch erklärt beharrlich: »Wir wollen weiter wachsen.«
Selbst ohne Elbvertiefung ist der Hafen erfolgreich. Bislang: »Der China-Handel hat nachgelassen, Brasilien und Russland stecken weiter in der Rezession. Aber der Hamburger Hafen bleibt stabil«, sagte der Chef von Hafen Hamburg Marketing, Axel Mattern, als er im November die Bilanz von Deutschlands größtem und Europas drittgrößtem Seehafen vorstellte. »Das ist eine gute Nachricht.«
Mehr als 150 000 Jobs hängen in der Metropolregion zwischen Lüneburg, Kiel und Schwerin am »Tor zur Welt«. Das Be- und Entladen am Kai bietet dafür lediglich den Grund. Versicherer, Schiffszulieferer oder der Internationale Seegerichtshof beschäftigen abertausende Menschen. Noch mehr Arbeitsplätze bietet die wasserstraßenabhängige Industrie wie Airbus, MAN und Vattenfall. Und vor allem die Logistikbranche, die riesige Flächen für ihre Umschlaghallen und Weiterverarbeitungsbetriebe nutzt. Das Netz der Bahntochtergesellschaften und Niederlassungen von Hafenbetreibern wie der teilstaatlichen HHLA reichen bis nach Bayern, in die Schweiz und Polen. Hamburg gilt in der maritimen Wirtschaft als einer der wichtigsten Häfen außerhalb Asiens und als Drehkreuz für Skandinavien, Mittel- und Osteuropa.
Dabei profitiert Hamburg seit der Öffnung der Ost-West-Grenzen wieder von seiner zentralen geografischen Lage. Selbst der Standort tief im Binnenland erfreut die Reeder, da der Transport per Schiff ungleich preiswerter ist als per Bahn oder gar per Lkw.
Doch die Elbe ist an einigen Stellen zu flach und die Fahrrinne zu schmal für moderne Ozeanriesen. Die Schiffe für den Massenverkehr zwischen Asien und Europa wurden länger, höher, breiter und machten so die 130 Kilometer lange Zufahrt über die Elbe wieder einmal zum maritimen Nadelöhr.
Zwar fahren selbst die weltgrößten Containerschiffe wie die 400 Meter lange chinesische »CSCL Globe« die Hansestadt regelmäßig an. Doch können sie nur etwa 5000 TEU (Einheit für Standardcontainer) an Bord haben, damit das Schiff nicht zu tief liegt. Nach einer »Fahrrinnenanpassung«, wie die geplante Elbvertiefung genannt wird, sollen es 6000 Container werden. Eine Hoffnung, die viele Hafenarbeiter in der Gewerkschaft ver.di teilen. Schließlich habe nach den bisherigen acht Elbvertiefungen seit 1834 das Ladungsaufkommen jeweils zugenommen.
Zudem sollen breitere »Begegnungsboxen«, in denen entgegenkommende Meeresgiganten aneinander vorbeifahren können, die Sicherheit erhöhen. Reeder hoffen zudem auf mehr Flexibilität: Irgendwann sollen Containerschiffe mit einem Tiefgang bis zu 14,50 Meter (bislang 13,50 Meter) auf der Flutwelle den Hafen anlaufen können. Heute müssen manche Schiffe mehrere Stunden auf die Flut warten.
Als Alternative zur Vertiefung von Elbe und Weser hatten der spätere Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und der Grünen-Politiker Jürgen Trittin - beide wurden als Politiker in Niedersachsen groß - schon 2004 eine Kooperation der Häfen vorgeschlagen. Doch kürzlich zeigte eine Studie des Fraunhofer-Institutes, die von der Linkspartei in Auftrag gegeben worden war, dass eine Hafenkooperation kaum Chancen hat. Weltweit operierende Logistikkonzerne wie Kühne + Nagel lassen sich nicht vorschreiben, wo sie ihre Ladung löschen. Und Hamburg biete das bessere Umfeld für die maritime Wirtschaft.
Henning Vöpel, der Präsident des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), sieht auch Chancen im aktuellen Stillstand. Der Welthandel entwickle sich weit weniger dynamisch als bis vor kurzem angenommen. 2012 legte er sogar erstmals langsamer zu als die Weltwirtschaft insgesamt. Langfristig drohe eine zu starke Hafenorientierung »andere Entwicklungsoptionen zu blockieren«, warnt der HWWI-Chef. Viele Hafenflächen könnten besser für neue Branchen, genutzt werden - Stichwort Industrie 4.0.
Intern hat sich Hamburg von der früheren Tonnenideologie bereits verabschiedet. Der Plan für einen fünften Containerterminal wurde über Bord geworfen. Stattdessen sollen noch mehr Logistikfirmen an den Bahnknotenpunkt gelockt werden. Dazu beschloss der rot-grüne Senat im vergangenen Jahr, das frühere Fischerdorf Altenwerder West direkt an der Autobahn in ein sogenanntes Hafennutzungsgebiet »zu überführen«.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.