Bartsch: Kein Geld mehr für den Autokraten Erdogan

Empörung über Nazi-Vorwürfe des türkischen Präsidenten / Inhaftierter Journalist Yücel angeblich ein »Terrorist«

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Nach Nazi-Vergleichen des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan empören sich deutsche Politiker und pochen auf eine Entschuldigung. Erdogans Äußerungen seien »infam, abstrus, inakzeptabel und aufs Schärfste zurückzuweisen«, erklärte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) am Sonntagabend in der ARD-Sendung »Anne Will«. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sprach in der der »Passauer Neuen Presse« von einer »ungeheuerlichen Entgleisung des Despoten vom Bosporus«.

In den vergangenen Tagen hatten deutsche Kommunen und Veranstalter mehrere Wahlkampfauftritte türkischer Minister abgesagt - offiziell wegen Sicherheitsbedenken. Dazu sagte Erdogan am Sonntag: »Eure Praktiken machen keinen Unterschied zu den Nazi-Praktiken in der Vergangenheit.« Stunden später legte der konservative Politiker mit einer weiteren Bemerkung nach. »Ich habe gedacht, der Nationalsozialismus in Deutschland ist vorbei, aber er geht noch immer weiter.« Zu Berichten, dass er einen Auftritt in Deutschland plane, erklärte Erdogan der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge: »Wenn ich will, komme ich morgen. Ich komme, und wenn ihr mich nicht hereinlasst oder mich nicht sprechen lasst, dann werde ich einen Aufstand machen.«

Die Abgeordnete Sevim Dagdelen (LINKE) sagte in der ARD, Erdogan betreibe eine Verharmlosung des Faschismus. »Wenn etwas hier irgendwie an den früheren Faschismus erinnert, dann ist das doch die Methode Erdogans: Nämlich Journalisten, Presse und auch die Opposition auszuschalten, seine Gewaltpolitik und gleichzeitig auch die Säuberung des Staatsapparates und seine Hetztiraden.« Die Bundesregierung müsse endlich »eine rote Linie ziehen«.

Der Chef der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, forderte Kanzlerin Merkel unterdessen auf, den Flüchtlingspakt mit der Türkei zu beenden. »Der mit der Türkei vereinbarte Deal hat Europa erpressbar gemacht«, sagte Bartsch am Montag dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. »Deutschland muss darauf hinwirken, ihn aufzukündigen.«

Bartsch verlangte von der Kanzlerin, Konsequenzen zu ziehen. »Sie sollte die deutschen Bundeswehrsoldaten aus Incirlik abziehen und die sogenannten EU-Vorbeitrittshilfen einfrieren. Kein Geld mehr für den Autokraten Erdogan, nicht nur kritische Worte: Das müsste die konsequente Haltung der Bundesregierung sein«, sagte der LINKEN-Politiker. Bartsch warf Erdogan »die weitere Abkehr von Rechtstaatlichkeit, das Mit-Füßen-Treten der Pressefreiheit, das Opfern von Menschenrechten« vor.

Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in Deutschland schlug in die gleiche Kerbe. Ali Ertan Toprak sagte der »Huffington Post«, Erdogan gefährde den sozialen Frieden, indem er Türken in Deutschland gegen den Staat aufwiegele. Er forderte die Bundesregierung auf, klarer Stellung zu beziehen. Diese verstecke sich bei den Wahlkampfauftritten hinter Sicherheitsbedenken wie Brandschutzregelungen der Kommunen, anstatt ganz klar zu sagen: »Das ist nicht politisch erwünscht.« Toprak sagte, auch die deutschen Bürger wollten hier mehr Klarheit gegenüber Erdogan: »Die Deutschen sind nicht mehr gewillt, sich von einem Möchtegern-Sultan noch länger auf der Nase herumtanzen zu lassen.«

Erdogan strebt ein Präsidialsystem an, das ihm mehr Macht verleihen und das Parlament schwächen würde. An der Volksabstimmung dazu am 16. April können auch im Ausland lebende wahlberechtigte Türken teilnehmen, darunter rund 1,41 Millionen in Deutschland.

Erdogan hat außerdem den inhaftierten »Welt«-Korrespondenten Deniz Yücel als »Terroristen« bezeichnet. »Dieser Mann ist kein Journalist«, so Erdogan. Zugleich stellte er einen Zusammenhang zwischen dem Journalisten und dem Streit um Wahlkampfauftritte seiner Minister in Deutschland her. »Grund für all diese Ereignisse ist offenbar dieser Terrorist.«

In dieser Woche will sich Außenminister Mevlüt Cavusoglu mit seinem deutschen Kollegen Sigmar Gabriel treffen. Der SPD-Politiker warnte vor einer weiteren Eskalation. »Wir dürfen das Fundament der Freundschaft zwischen unseren Ländern nicht kaputt machen lassen«, schrieb er in der »Bild am Sonntag«. Bundesjustizminister Maas äußerte sich am späten Abend via Twitter ähnlich: Man werde weiter sehr klar Rechtsstaatlichkeit anmahnen und jegliche »Überdrehung« zurückweisen. »Aber nur im Dialog können wir was erreichen.«

Unterdessen ist am Sonntagabend der türkische Minister Nihat Zeybekci in Köln aufgetreten und hat dabei für die Politik von Erdogan geworben. Ohne das angestrebte Präsidialsystem in der Türkei zu erwähnen, stellte er vor allem die Anstrengungen der Türkei heraus, in den kommenden Jahren zu einer der größten Wirtschaftsmächte der Welt zu werden. Indirekt ging er auch auf die Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und der Türkei ein. »Wir lassen uns nicht vorschreiben, was wir zu tun und zu lassen haben«, sagte er. Die Deutschen nannte er nicht direkt, erwähnte aber, die Deutsch-Türken lebten »in einem Land, das unser Freund ist«. Vor dem Hotel forderten Demonstranten Freiheit für die in der Türkei inhaftierten Journalisten.

Der Auftritt in Köln war bereits der dritte Anlauf für den Minister. Zuvor waren zwei geplante Auftritte in Köln-Porz und Frechen abgesagt worden. Agenturen/nd

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