Etappensieg ohne Wundermaschine

Im Verfahren um das »Merkel-Selfie« entscheidet das Würzburger Landgericht ganz im Sinne von Facebook

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.

Egal, wie das Verfahren ausgehe: Der »Auftrag an den Gesetzgeber« sei »schon jetzt klar«, hatte der Rechtsanwalt Chan-Jo Jun vor der Urteilsverkündung im Würzburger Facebook-Prozess vorab via Twitter geschrieben. Und zumindest nach dieser ersten Entscheidung bleibt es bei diesem Auftrag an die Politik. Denn das Gericht wies die von Jun im Auftrag des syrischen Flüchtlings Anas Modamani beantragte einstweilige Verfügung zurück, wie Jun nur Minuten nach der Entscheidung via Facebook vermeldete.

Der Internetriese muss demnach keine weiteren Maßnahmen treffen, um von sich aus manipulierte Versionen eines Bildes von Modamani neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aus dem Netzwerk zu löschen. Kernsatz der Entscheidung: Facebook habe sich diese - unstrittig - verleumderischen Fotomontagen, die Modamani fälschlich mit Terror und Gewalt in Verbindung brachten, nicht zueigen gemacht: Facebook sei »weder Täter noch Teilnehmer der hier unstreitigen Verleumdungen«, begründete das Landgericht seine Entscheidung. Bei den strittigen Einträgen handle es sich um »fremde Inhalte der Nutzer des Portals«.

Die Entscheidung folgt in diesem Sinn der Rechtsauffassung von Facebook. Die Plattform hatte sich stets auf das »Telemediengesetz« bezogen. Darin ist das »Providerprivileg« verankert: Anbieter von Plätzen im Internet sind demnach nicht für das haftbar zu machen, was die Nutzer dieser Plätze dort verbreiten.

Demnach sei ein Provider »nicht zur proaktiven Suche möglicher künftiger zu beanstandender Inhalte verpflichtet«. Allerdings sei bei »einer schweren Persönlichkeitsverletzung« ein »erhöhter Suchaufwand gerechtfertigt«. Dies gelte aber nur, wenn die Suche »technisch ohne zu großen Aufwand realisierbar und damit zumutbar ist«.

Gerade dies hatten Facebook-Vertreter in dem Verfahren abgestritten. Über eine solche »Wundermaschine« verfüge man nicht - eine Einlassung, die unter IT-Experten ein gewisses Befremden auslöste. Schließlich erkennt Facebook recht zielsicher Inhalte, die gegen seine »Gemeinschaftsstandards« verstoßen.

Ob Facebook in der Lage wäre, künftig von selbst alle verleumderischen Manipulationen des Bildes von Modamani und Merkel zu erkennen, wollten die Richter - die bereits im Gütetermin zu Monatsanfang bekannt hatten, mit dem Netzwerkmedium und seiner Funktionsweise über keinerlei Erfahrung zu verfügen - lieber nicht beurteilen. Diese Frage sei »letztlich im Verfügungsverfahren nicht aufklärbar« und müsse »in einem möglichen Hauptsacheverfahren durch Gutachten« geklärt werden. Eine Eilbedürftigkeit als Voraussetzung für eine einstweilige Verfügung sei nicht zu erkennen.

Ob es aber zu einem Hauptsacheverfahren kommt, ist ungewiss. Anwalt Chan-Jo Jun erklärte laut dpa, er werde seinen Mandanten in einem solchen nicht vertreten. Er begründete das mit persönlichen Angriffen und Drohungen gegen ihn. Das kommt etwas überraschend - im Vorfeld hatte der Experte für IT-Recht anders geklungen. Vielleicht lässt er sich von aufmunternden Kommentaren umstimmen, die nach der Gerichtsentscheidung auf seinem Facebook-Profil aufliefen.

Eben dort fasst Jun jenen Auftrag an die Politik, der für ihn aus dem Verfahren hervorgeht, in einem Motto zusammen: »Unantastbarkeit der Menschenwürde statt Facebook-Gemeinschaftsstandards.«

Sprich: Facebook müsse mehr als Medium betrachtet werden und weniger als reiner Provider. Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk sagte Jun, es müsse in Zukunft »teurer sein, das Recht ständig zu verletzen und günstiger sein, es zu beachten«. Facebook habe als Wirtschaftsunternehmen »kein Interesse, erfolgreich verbreitete Beiträge zu entfernen« - so fragwürdig diese auch seien. Daher müssten Sanktionen geschaffen werden. Kommentar Seite 4

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