Polizeihelm als Waffe höchst ungeeignet

Amtsgericht Tiergarten verhandelte über eine Körperverletzung im Amt

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 2 Min.

Das Geschehen liegt inzwischen fast 19 Monate zurück. Da verschwimmen die Erinnerungen und vieles wird aus heutiger Sicht gar nicht mehr so ernst genommen. Das muss wohl auch das mutmaßliche Opfer einer mutmaßlichen Polizeiattacke gedacht haben. Er war gar nicht erst zum Prozess erschienen. Und wenn der Hauptzeuge in einem Gerichtsverfahren fehlt, dann kann nicht verhandelt werden. Also entschied der Richter beim Amtsgericht Tiergarten, die Sitzung zu vertagen, da die Wahrheitsfindung ohne die wichtigste Person nicht möglich ist.

Die Staatsanwaltschaft beschuldigt den 40-jährigen Polizisten Christian Sch. der Körperverletzung im Amt. Am 13. September 2015 fanden in Berlin, wie auch in anderen deutschen Städten türkische Demonstrationen »Gegen Vertreibung, Krieg und Terror« statt. Beim Zug der türkischen Berliner wurden antikurdischen Losungen gerufen, türkische Nationalisten forderten den Tod Öcalans. Eine Meldung, wonach sich auch die faschistischen »Grauen Wölfe« unter die Demonstranten gemischt haben sollen, konnte die Polizei nicht bestätigen. Die Stimmung war aufgeheizt, kurdisch-türkische Berliner organisierten Gegenaktionen. Während die angemeldete Demonstration relativ friedlich verlief, trafen am Abend türkische und kurdische Aktivisten aufeinander. Und die Polizei war mittendrin. Sie versuchte, die erregten, aggressiven Demonstranten auf beiden Seiten zu beruhigen und sie zu trennen. Fahnenstangen und Messer kamen zum Einsatz, Flaschen flogen. Die Staatsmacht setzte Pfefferspray ein. Nach Polizeiangaben gab es 35 Festnahmen. Am Rande der Aktionen wurden Demonstranten befragt. Und da soll es dann geschehen sein: Der angeklagte Polizist soll an einen Mann, den er befragte, ganz dicht herangetreten sein und dann plötzlich mit seinem behelmten Kopf zugestoßen haben. Er traf den Geschädigten an der Schläfe und verletzte ihn nicht unerheblich. Die Attacke wäre kaum aufgefallen, hätte nicht eine Kamera das Geschehen festgehalten. Daraus formte die Staatsanwaltschaft dann die Anklage. Doch die Verhandlung dauerte nur wenige Minuten.

Da sich der Zeuge nicht entschuldigt hatte, bekam er noch eine Geldstrafe von 200 Euro aufgebrummt. Ein Gericht ist kein Kinderspielplatz. Man hat bei ordnungsgemäßer Ladung zu erscheinen, ohne wenn und aber. So will es Justitia. Nur ärztlich bestätigte Krankheit und andere Katastrophen schützen vor gerichtlicher Aussage. Nun wird es irgendwann einmal - wenn das Geschehen in noch weitere Ferne gerückt ist und die Erinnerungen noch weiter verblasst sind - einen neuen Anlauf geben.

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