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Frieren bei Kerzenlicht?

Fragen & Antworten zu Stromsperren

  • Lesedauer: 3 Min.

Mitte Januar bei eisigen Minustemperaturen ging bei Astrid, einer 28-jährige Alleinerziehenden, und ihren drei Töchtern, 4, 7 und 9 Jahre alt, das Licht aus: Stromsperre. Die junge Frau zählt zu bundesweit mehr als 300 000 Haushaltskunden im Jahr, denen nach den jüngsten Zahlen der Bundesnetzagentur der Strom abgestellt wird - nach einem langen Mahnverfahren und gesetzlich vorgeschriebener Sperrankündigung mit letzter Zahlungsfrist. Sperrandrohungen gab es laut Zahlen von 2015 sogar in knapp 6,3 Millionen Fällen - ein Massenphänomen.

Wie kann es dazu kommen?

Seit dem Jahr 2000 haben sich die Strompreise für Haushaltskunden auch durch die Zusatzlasten der Energiewende von 15 Cent pro Kilowattstunde auf um die 30 Cent verdoppelt. Die durchschnittlichen Realeinkommen sind im selben Zeitraum nur um rund fünf Prozent gestiegen.

Besonders schwierig wird es oft für Hartz-IV-Empfänger: Der Energieanteil in den Hartz-IV-Regelsätzen deckt nach Meinung von Sozialverbänden den Strombedarf eines Ein-Personen-Haushaltes nicht ab.

Zudem sitzen gerade viele arme Menschen in teuren Grundversorgungstarifen fest; bei schlechter Bonität der Kunden schließen viele Versorger keine günstigeren Sonderverträge ab. Weil sie kein Geld haben, können sich viele keine neuen Geräte leisten und behalten alte »Stromfresser«.

Warum reagieren die Betroffenen nicht eher?

Stromsperren kommen nicht über Nacht. Auch die Versorger bemühen sich - schon wegen des Einnahmeausfalls und des Imageverlustes durch spektakuläre Fälle - den letzten Schritt zu vermeiden. Viele Versorger arbeiten hierzu mit Schuldnerberatungen oder karitativen Einrichtungen zusammen.

Betroffene stecken aber oft bereits in einer Abwärtsspirale durch persönliche Umstände wie Überschuldung, Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Scheidung. Hinzu kommen oft fehlende Sprachfähigkeit und Alltagskompetenz: Man sucht viel zu spät Hilfe und versteht nicht, dass Miet- und Energieschulden als erstes beglichen werden müssen, weil sonst die Existenz in Gefahr gerät.

Ende Oktober 2016 hatte Astrid die Jahresrechnung mit 2063 Euro Nachforderung bekommen, aber nicht darauf reagiert. Zur Verbraucherzentrale ging sie erst am 17. Januar - da war der Strom schon eine Woche abgestellt, alle drei Töchter durch die Kälte bereits krank.

Was können die Verbraucherzentralen tun?

Beraten und vermitteln. Viele Betroffene bekommen Hartz IV. Bei Stromsperren werden sie oft zwischen Versorger und Sozialbehörde hin- und hergeschickt und verlieren so kostbare Zeit. Die Beratungsstellen der NRW-Verbraucherzentrale helfen hier im Rahmen des landesweiten Vorreiterprojektes »NRW bekämpft Energiearmut«, das von Stadtwerken und dem Land finanziell getragen wird. Mehr als 80 Prozent der Stromsperren konnten damit abgewendet und in mehr als der Hälfte der Fälle ein Wiederanschluss erreicht werden.

Der Berater im Fall von Astrid bekam zum Beispiel sofort einen kompetenten Ansprechpartner beim Versorger ans Telefon. Zuvor war die junge Frau mit ihrer Bitte um Kostenübernahme bereits in der Empfangszone ihres Jobcenters abgewiesen und als sie protestierte - des Hauses verwiesen worden. Einen Tag nach dem Anruf hatte sie wieder Strom.

Wie kann es sein, dass man Familien mit kleinen Kindern den Strom abstellt?

Stromsperren müssen laut Gesetz verhältnismäßig sein. Nach einem Kieler Gerichtsurteil von 2013 sollen alte und schwer kranke Menschen von Stromsperren ausgenommen sein. Dasselbe gelte wohl auch für Neugeborene und kleine Kinder, wenn die Folgen der Sperre schwerwiegender sind als die Verletzung der Zahlungspflicht, sagt die Juristin Stephanie Kosbab vom Bund der Verbraucherzentralen.

In der Verordnung sei dies aber viel zu vage formuliert. Es fehlten Regelbeispiele für solche Härtefälle. Auch das müsse ins Gesetz, denn Versorger handhabten dies sehr unterschiedlich, fordert die Juristin. Gefordert sind für sie aber auch die Verbraucher: Sie müssten bei persönlichen Problemen viel frühzeitiger auf die Energieversorger zugehen. dpa/nd

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