- Ratgeber
- »Gender-Wealth-Gap«
Finanzmarkt arbeitet gegen Frauen
»Gender-Wealth-Gap«: Der Vermögensunterschied zwischen Frauen und Männern bleibt groß
»Frauen lassen Finanzfragen erst vom Papa, dann vom Partner klären«, beklagte Christine Laudenbach in einem Zeitungsinterview. Die Ökonomin am Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung SAFE untersucht den sogenannten Gender-Wealth-Gap, den Vermögensunterschied zwischen Frauen und Männern. Für den gar nicht so kleinen Unterschied gibt es verschiedene Gründe, die von der frühkindlichen Erziehung bis hin zu schlechteren Job-Chancen reichen. Die Studie der OECD »Finanzbildung in Deutschland – Finanzielle Resilienz und finanzielles Wohlergehen verbessern« unterstreicht diese Einschätzung. Obendrein besitzen Frauen in der Regel ein geringeres Finanzwissen als Männer und schätzen ihre Finanzkompetenz auch niedriger ein.
»Ich denke, Frauen haben oft eine Aversion, sich mit dem Thema zu beschäftigen, sie sind nicht souverän in ihrer finanziellen Entscheidungsfähigkeit, glauben nicht an sich«, sagt Laudenbach im Gespräch mit der Hauszeitschrift ihres Leibniz-Instituts in Frankfurt am Main. Genau das sei aber nicht nur im Alltag wichtig. Sie nennt ein Extrembeispiel: Studien hätten gezeigt, dass Fälle häuslicher Gewalt in den USA in Regionen zurückgingen, in denen die Finanzbildung in Schulen gestärkt wurde. Allerdings seien die Mechanismen unklar: Verlassen die Frauen ihre Männer, bevor die Situation eskaliert, weil sie es sich eher zutrauen? Oder wird der finanzielle Druck auf eine Familie gar nicht erst so extrem, dass er in Gewalt umschlägt, wenn beide – nicht nur der Mann – die finanzielle Verantwortung tragen? »Unabhängig davon zeigt sich, dass Entscheidungsfreiheit stark mit finanzieller Freiheit und finanzieller Entscheidungsfähigkeit verknüpft ist.«
Ein Experiment des Teams von Frau Laudenbach, für das Tausende Beratungsprotokolle ausgewertet wurden, zeigt aber auch: Frauen und Männer mit identischen Finanzprofilen erhalten von Beratern ganz unterschiedliche Anlageempfehlungen! So erhielten Männer typischerweise günstigere Produkte mit höheren Renditechancen angeboten. Frauen hingegen verkauften Banken und Versicherungen die für die Institute selbst besonders lukrativen Geldanlagen.
Die Industriestaatenorganisation OECD schlussfolgert aus dem Gender-Wealth-Gap in Deutschland, dass Bund, Länder und Kommunen eine nationale Strategie entwickeln sollten, um das Finanzkompetenzniveau zu steigern. So sollte es mehr frei zugängliche Bildungsinitiativen geben, die zum Thema Finanzen geschlechterspezifische Angebote machen.
Inzwischen hat die Finanzindustrie die Marktlücke erkannt. Auf Instagram, Tiktok und Co. werben immer mehr Anbieterinnen mit kostenlosen Finanzcoachings »von Frauen für Frauen«. Doch hinter den Angeboten stecken oft teure Dienstleistungen oder riskante Finanzprodukte. Und »die Kosten werden häufig nicht transparent kommuniziert«, hat kürzlich ein Marktcheck der Verbraucherzentrale Hamburg gezeigt. Frauen, die im Schnitt ohnehin über weniger Geld verfügen, können solche Angebote besonders teuer zu stehen kommen.
Dabei ist guter Rat teuer. Etwa, wenn es um Strategien für die verschiedenen Lebensphasen geht – vom Berufsstart über die Familiengründung bis hin zu Trennung oder Ruhestand. So sollten junge Frauen schon früh an ihre Altersvorsorge und die finanzielle Unabhängigkeit im Alter denken.
»Rendite interessiert Frauen weniger, sie wollen vor allem nichts verlieren«, hat Forscherin Laudenbach festgestellt, sie sind also besonders an sicheren Geldanlagen interessiert. Das deckt sich durchaus mit den Empfehlungen im »nd«-Ratgeber. Allerdings spricht einiges dafür, einen Teil der langfristigen Geldanlage (Altersvorsorge) auch renditeorientiert anzulegen, etwa in Fonds.
Der Gender-Wealth-Gap lässt sich weltweit beobachten, das zeigen diverse Studien. Europa schneidet dabei noch am besten ab. Deutschland liegt im europäischen Mittelfeld. Es könnte also schlimmer sein. Im internationalen Vergleich ist das Finanzkompetenzniveau der Erwachsenen in Deutschland sogar relativ hoch, heißt es bei der OECD. Verlässliche Orientierung in Sachen Finanzen bietet der neue Finanzplaner für Frauen »Ab jetzt finanziell unabhängig«, den die Verbraucherzentrale herausgebracht hat. Der Bogen dieses Finanzplaners reicht vom Anlagehorizont bis zum Zinseszinseffekt. Beschrieben wird hier, wie der Kauf einer Immobilie finanziell bindet oder wie Pflegebedürftigkeit ein Erbe aufzehren kann. Eine lesenswerte Publikation.
Der Ratgeber »Ab jetzt finanziell unabhängig« ist für 20 Euro in den Infozentren der Verbraucherzentralen erhältlich. Das Buch kann zudem versandkostenfrei online bestellt oder direkt als E-Book für 15,99 Euro heruntergeladen werden: www.vzhh.de/shop.
Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.
Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen
Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.