Kein schöner Land in dieser Zeit

Fernab von Tümelei erfreut sich das deutsche Volkslied neuer Beliebtheit bei Musikern

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Welt ist ein Dorf. Dank Internet und Billig flügen werden Menschen, die auf unterschiedlichen Kontinenten leben, plötzlich zu Nachbarn. Entfernungen und Grenzen verlieren an Bedeutung - zumindest für den Teil der Menschheit, der über moderne Datenleitungen und das nötige Geld für Flugtickets verfügt. Auch in der Kultur hinterlässt die Globalisierung ihre Spuren. Besonders deutlich ist das in jener kulturellen Sphäre zu beobachten, die sich am engsten an den Gesetzen des Marktes orientiert, dem Pop. Ob in Berlin oder Beirut, New York oder Moskau, Sydney oder Tokio - überall hören junge Menschen die gleiche Art von Musik auf ihren überall gleichen mp3-Playern, überall kleiden sie sich nach den gleichen Moden, mögen die gleichen Computerspiele. Pop ist ein Code, den Teenager automatisch zu beherrschen lernen. Eine Zweitsprache, ohne die heute kein junger Stadtbewohner mehr weit kommt. Wie Englisch. Mitten in diesen popkulturellen Angleichungsprozess fällt seit einiger Zeit eine völlig konträre Entwicklung: die Besinnung aufs Lokale. Dem Aufschwung der Weltmusik, die ethnische, meist außereuropäische Musik in das globale Rock- und Pop-Gerüst integriert, folgt nun ein Revival des Folk. Traditionelle Musik aus aller Herren Länder ist salonfähig. Plötzlich wird das Dorf zur Welt. Deutsche Städter mit Hang zur Folklore zog es bislang vor allem in Irish Pubs. Sich dort mit Jigs und Reels in Stimmung zu bringen, machte nicht nur Spaß, es war auch unverfänglich. Deutsche Volksmusik hingegen galt als peinlich. In Elternhaus und Kindergarten mochten sie geliebt worden sein, in der urbanen Öffentlichkeit aber fanden sie fast keinen Platz. Das gebrochene Verhältnis der Deutschen zu ihrer volksmusikalischen Tradition liegt auch in der Vereinnahmung der Lieder und ihrer Sänger durch die Nationalsozialisten begründet. Nach 1933 wurde die recht lebendige Singebewegung gleichgeschaltet und das Volkslied aufs Völkische reduziert. Vollständig lächerlich für das Gros junger Menschen wurde deutschsprachige Volksmusik Jahrzehnte später im Zerrbild bajuwarischer Schunkelformate im Fernsehen. Umso bemerkenswerter ist es, dass jüngst gleich mehrere Künstler, die niemand in der Nähe des »Musikantenstadl« verorten würde, das deutsche Volkslied für sich entdeckt haben. Christiane Hebold alias Bobo zum Beispiel, deren Band Bobo In White Wooden Houses in den frühen neunziger Jahren als erste ostdeutsche Indie-Formation der Nachwendezeit Aufsehen erregte. Mit intelligenter Musik - und englischen Texten - arbeitete Bobo sich vom Leipziger Rockpreis bis zur MTV-Grand-Prix-Nominierung vor. Als sie den Vokalpart in Rammsteins »Engel« übernahm, verliebte sich ein Millionenpublikum in ihre Stimme aus Glas. Nach längerer Pause meldete sich Bobo 2004 zurück: mit einem Volkslieder-Projekt. Und siehe da: Die düster-romantischen Titel, die sie in psychedelischer Langsamkeit interpretierte, schienen wie für ihre zerbrechliche Stimme geschrieben. »Ja, ich weiß, deutsche Volkslieder, das hört sich erst mal befremdlich an«, erklärt Bobo auf ihrer Homepage, »aber Lieder wie "Es geht eine dunkle Wolk herein" oder "Der schwere Traum" kenne ich seit meiner Kindheit und habe sie immer geliebt und gern gesungen ... In den letzten Jahren blitzte die Idee immer mal wieder auf, ein ganzes Album mit Volksliedern aufzunehmen, also ganz weit zurückzugehen und zu sehen, was man heute noch damit anfangen kann.« Viel, wie man hört. Leider ist das Album nie regulär veröffentlicht, sondern auf Bobos »Volks- lieder«-Tour nur in limitierter Auflage vertrieben worden. Bobo blieb nicht lange allein mit ihrem Projekt. 2005 machten die Bands Deitsch und Schöneweile in Insider-Kreisen mit Volkslieder-Alben von sich reden - wobei zumindest Schöneweile, eine Gruppe erfahrener Profimusiker aus Ost und West, teilweise recht stark in die Schunkelrichtung schwenkt. Die Selbstbeschreibung hört sich besser an: »Wir wollen einen echten Crossover schaffen, indem wir klassische Volkslieder mit der klanglichen Ästhetik der heutigen Popmusik versehen.« Weitere Alben, die alte deutsche Lieder neu entdecken, sind »Maschas Kinderlieder« von Hans-Eckardt Wenzel (2005) und Achim Reichels »Volxlieder« (2006). War es bislang nicht ungewöhnlich, dass deutsche Musiker sich in der Folklore anderer Länder erprobten, bewies das Weltmusik-Label Piranha am Ende des letzten Jahres schließlich, dass es auch andersherum geht: Auf dem Album »Heimat - von fern so nah«, einer Koproduktion des Brasilianers Jorge Degas und des Deutschen Andreas Weiser, vermengen sich südamerikanische Rhythmen mit den Melodien von »Heideröslein«, »Der Mond ist aufgegangen« und »Wenn ich ein Vöglein wär«. Reichen ein paar Beispiele, um einen Trend auszumachen? Die Fangemeinde ist uneins. Beim Tanz- und Folkfest in Rudolstadt im Sommer 2006 führte die Podiumsdiskussion »Revival des Revivals - Kehrt das deutsche Volkslied zurück?« zu dem Schluss, es handele sich allenfalls um ein »Revivalchen«. Zeitgleich staunte die Welt über den friedlichen Fußballpatriotismus der Deutschen. Man stelle sich vor, die Sportfreunde Stiller hätten statt »54, 74, 90, 2006« »Kein schöner Land« zur heimlichen WM-Hymne erchoren. Dann doch lieber ein »chen« ans Revival hängen. Und an den Patriotismus gleich mit. Degas/Weiser: Heimat - Von fern so nah (Piranha) Achim Reichel: Volxlieder (Tang-ram) Schöneweile: Vol. 1 (Ariola) Deitsch: Königskinder (Skycap) Hans-Eckardt Wenzel: Maschas Kinderlieder (Conträr) Bobo: Volkslieder (ohne Label)

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