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Film »Mastermind«: Das Genie als Tor

Kelly Reichardt inszeniert in »Master­mind« einen Raub­überfall, der zwar perfekt gedacht, aber stümper­haft umgesetzt ist

  • Gabriele Summen
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Kunsthochschulabbrecher JB Mooney (Josh O’Connor) hält sich für übertrieben schlau.
Der Kunsthochschulabbrecher JB Mooney (Josh O’Connor) hält sich für übertrieben schlau.

Kelly Reichardt nähert sich Filmgenres stets aus ungewohnter Perspektive und bricht gezielt mit gängigen Konventionen. In »Old Joy« gewann sie dem Buddy-Movie neue Seiten ab, in »Wendy and Lucy«, der Geschichte einer Obdachlosen, variierte sie das Road-Movie-Genre. In »Meek’s Cutoff« und »First Cow« dekonstruierte die Independent-Regisseurin wiederum genüsslich klassische Westernmotive, immer in ihrer gewohnt minimalistischen, fein beobachtenden Art. So durfte man gespannt sein, welche Facetten die Autorenfilmerin in »The Mastermind« dem Genre des Heist-Movies (heist, englisch: Raubüberfall) abgewinnt. Der Film feierte seine Premiere – ebenso wie 2022 ihre Komödie »Showing Up« – bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes.

Schauplatz ist ein verschlafener Vorort von Massachusetts, in den detailgenau wieder zum Leben erweckten 70er Jahren. Stammkameramann Christopher Blauvelt fängt die Szenerie großartig in körnigen Bildern ein, die an Fotografien von Stephen Shore oder auch Wim Wenders Film »Der amerikanische Freund« erinnern: Dicke Amischlitten beherrschen das Straßenbild, Kleidung und Interieurs erwecken den Eindruck, der Film sei tatsächlich 1970 gedreht worden. Der Vietnamkrieg tobt, die Nachrichten sind voll davon, und überall finden Proteste statt.

Dicke Amischlitten beherrschen das Straßenbild, Kleidung und Interieurs erwecken den Eindruck, der Film sei tatsächlich 1970 gedreht worden.

Die angespannte Stimmung überträgt sich auch auf die Zuschauer*innen, aber offensichtlich nicht auf den egoistischen Kunsthochschulabbrecher und arbeitslosen Tischler JB Mooney – großartig verkörpert von Josh O’Connor, der zuletzt in Luca Guadagninos »Challengers« und Alice Rohrwachers »La Chimera« brillierte. Der Sohn eines angesehenen Richters, der seinen wohlhabenden Eltern immer noch hemmungslos auf der Tasche liegt, hat andere Pläne, die ihn vollends einnehmen. JB plant einen vermeintlich narrensicheren Coup: Gemeinsam mit zwei Bekannten will er vier abstrakte Gemälde des Modernisten Arthur Dove aus dem örtlichen Kunstmuseum stehlen.

Beim Besuch des Framingham Art Museum mit seinen Zwillingssöhnen und seiner Frau Terri (Alana Haim, die leider zu wenig Screentime bekommt) stiehlt der gewissenlose Taugenichts schon mal probeweise ein kleines Artefakt aus der Vitrine und schmuggelt es seiner Frau in die Handtasche, die damit unfreiwillig zur Diebin wird.

Bei dem gänzlich unglamourösen Diebstahl der Gemälde – während der Öffnungszeiten – geht ziemlich viel schief: Am Tag des Raubes muss JB eigentlich auf die Zwillingssöhne aufpassen; zwei Schülerinnen entdecken die mit Nylonstrumpfhosen maskierten Möchtegern-Ganoven, und die Flucht gelingt ihnen nur, weil einer der Komplizen unerlaubt eine Waffe bei sich trägt.

Reichardt kontrastiert den Mythos des »perfekten Raubs« mit der Stümperhaftigkeit der Möchtegern-Ganoven, woraus die Szene ihren bitterkomischen Reiz bezieht. Was für ein herrlicher Kontrast zu klassischen Heist-Movies wie beispielsweise der Ocean’s-Reihe!

Rob Mazurek unterlegt auch diese wunderbar montierte Szene – Reichhardt schneidet ihre Filme seit vielen Jahren selbst – mit spannenden Jazzscores, die gemeinsam mit dem durchgängig leisen Humor dafür entschädigen, dass der Film danach zu sehr an Tempo verliert.

Wie schon in Reichardts Öko-Terrorismus-Thriller »Night Moves«, wo der Anschlag gleich zu Beginn stattfindet, interessiert sich die Regisseurin weniger für die Tat selbst als für deren Folgen. Hier allerdings wird die Geduld des Publikums gelegentlich über Gebühr strapaziert: Die für Reichardt typischen langen Einstellungen langweilen gelegentlich, doch womöglich sind es auch einfach JB Mooneys Uneinsichtigkeit und Torheit, die man irgendwann kaum noch ertragen kann.

Ein weiterer Höhepunkt ist jedoch eine Szene, in der JB die erbeuteten Gemälde unfassbar ungeschickt in einem Schweinestall versteckt – und zu Hause bereits von zwei karikaturhaft überzeichneten Polizisten erwartet wird.

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Schließlich bleibt JB nur die Flucht in einem unspektakulären Greyhound-Bus. Vorübergehend findet er Zuflucht bei seinem Ex-Kommilitonen auf dem Land, der amüsant von »First Cow«-Hauptdarsteller John Magaro verkörpert wird. Doch auch dessen Frau Maude (Stammschauspielerin Gaby Hoffmann) hat schon bald die Nase voll von dem unreifen Mann, der um sich herum alle nur in Schwierigkeiten bringt, und wirft ihn bald raus.

So zeigt Reichardt nicht nur, dass die im Kino oft als glamourös dargestellten Raubüberfälle in der Realität ein recht chaotisches Unterfangen sind. En passant entlarvt sie auch noch die unfassbare Hybris eines Mannes, der sich für ein »Mastermind« hält und an seiner eigenen Torheit scheitert. In Zeiten allgegenwärtiger Überheblichkeit in Politik und Gesellschaft wirkt das besonders befreiend. Bis zuletzt verweigert sich JB jeder Form der Selbsterkenntnis. »Ich glaube nicht, dass Sie die Sache durchdacht haben«, sagt ihm ein versierterer Gauner einmal.

Kelly Reichardt gelingt dagegen wieder einmal ein präzise durchdachter Film, der mit leisem Humor das Heist-Genre hinterfragt und uns vor Augen führt, dass den meisten Verbrechen eher Hybris und Torheit als geniale Planung zugrunde liegen.

»Mastermind«, USA 2025. Regie: Kelly Reichardt. Mit: Gaby Hoffmann, Hope Davis, Bill Camp. 110 Min. Start: 16. Oktober.

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