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So kann es nicht weitergehen

Fabian Scheidler wünscht sich Friedens­tüchtigkeit und ist damit in einer Welt der Kriegs­tüchtigen ziemlich einsam

  • Lothar Schröter
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Statue »Schwerter zu Pflugscharen« des russischen Künstlers Jewgeni W. Wutschetitsch (1908–1974) in New York, 1959 ein Geschenk der Sowjetunion
Die Statue »Schwerter zu Pflugscharen« des russischen Künstlers Jewgeni W. Wutschetitsch (1908–1974) in New York, 1959 ein Geschenk der Sowjetunion

Eine Voraussage vorweg: Dieses Buch wird vermutlich vielen hierzulande nicht genehm sein – nicht den Herrschenden und deren Sprechern in Presse, Funk, Fernsehen und auch nicht in der politikwissenschaftlichen Zunft, vermutlich ebenso einigen Linken nicht. Denn die hier ausgesprochenen Wahrheiten passen nur schwer zur Kriegslogik der einen und zum Opportunismus der anderen.

Fabian Scheidler, Friedenskämpfer und Antimilitarist, zudem ein ökologisch denkender und handelnder Mensch, breitet Fakten aus, die weder den Unionsparteien CDU und CSU noch den bedeutungslosen, aber via Marie-Agnes Strack-Zimmermann umso lautstarker auftretenden Liberalen ins Konzept passen und auch nicht dem Führungspersonal der ihren Ursprung schamlos negierenden, besonders aufrüstungs- und kriegsaffinen Führungsriege der Grünen.

Hingegen hielt es die IG Metall bereits 2009 für angemessen, den 1968 in Bochum geborenen Publizisten und Dramaturgen, der unter anderem viele Jahre für das Grips-Theater in Berlin gearbeitet hat und für Attac tätig war, aufgrund seiner kritischen Texte mit ihrem Otto-Brenner-Preis auszuzeichnen.

Allein schon der Titel dieses Bandes ist sympathisch: »Friedenstüchtig«. Ein klares Bekenntnis wider das inflationär gebrauchte und Hirne vernebelnde Wort der »Kriegstüchtigkeit«, die zu erreichen sei. Und zugleich ein aktueller Beitrag zur Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland.

Scheidler unternimmt einen Parforceritt durch die verheerenden, viel zu oft überaus opferreichen Sünden und Verbrechen, die von deutschem Boden ausgegangen sind, aber ebenso von Partnern in Europa und Übersee. Die Wurzel aller Übel verortet er in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung. Scheidler scheut nicht davor zurück, die Systemfrage zu stellen.

Der Autor des Bestsellers »Das Ende der Megamaschine«, damals überschwänglich von Noam Chomsky über Vandana Shiva und Jean Ziegler bis zu Ernst Ulrich von Weizsäcker gelobt, zeichnet Abgründe auf: Ökonomischer Niedergang, politisches Chaos und die Preisgabe aller demokratischen und sozialen Errungenschaften sind gewiss, wenn sich die Fixierung auf Aufrüstung und Kriegsertüchtigung durchsetzt.

Scheidlers Aufmerksamkeit fokussiert auf den Ukraine-Krieg und den (hoffentlich jetzt endenden) Krieg in Gaza. Für den Autor bilden diese beiden großen Dramen der Gegenwart die Dreh- und Angelpunkte für die Zukunft der Menschheit. Vor allem die Lösung des Nahost-Konflikts sei entscheidend für die künftige Weltordnung. Wir stehen an einem Scheidepunkt, vergleichbar den Zäsuren von 1917, 1945 und 1989/90 – so interpretiert der Rezensent jedenfalls Scheidlers Darlegungen.

Dem Autor ist es wichtig, die Vorgeschichten der großen Krisen und Kriege zu untersuchen. Diese im Blick zu haben, ist notwendig, um Legenden und Mythologisierung vorzubeugen. »Wo über Konflikte und ihre Genese nicht mehr offen gesprochen werden kann, hört das Denken auf.« Um zu einer Friedenslösung zu gelangen, müssen die tieferen Ursachen und Hintergründe eines Konfliktes oder Krieges und die Interessen der beteiligten Konflikt- oder Kriegsparteien ernsthaft analysiert und diskutiert werden. Kritische Selbstreflexionen sind dabei ebenso dringend geboten.

Scheidler nennt die Friedensbewegungen eine geopolitische Kraft, die allerdings zu neuem Leben erweckt werden müsse. Der Epilog ist eine Hommage an die »Kunst des Friedens«, schwer zu machen, aber unentbehrlich.

Summa summarum ein gutes, ein wichtiges Buch zur richtigen Zeit. Gestattet sei eine Anmerkung: Der Autor folgt der These des Mainstreams in Politik und Medien, dass es sich schon beim Einmarsch russischer Streitkräfte in den Donbass »um einen völkerrechtswidrigen Angriff« gehandelt habe. Das ist strittig, denn es war der damals amtierende (Übergangs-)Präsident der Ukraine, Oleksandr Turtschynow, der in der Nacht vom 6. auf den 7. April 2014 als sogenannte Antiterrormaßnahme den Einmarsch ukrainischer Streitkräfte in Donezk wie in Lugansk anordnete und damit die Lunte an ein Pulverfass legte. Eigentlich begann der Ukraine-Krieg bereits damals.

Scheidlers Fazit ist zuzustimmen: »Wir haben es … mit drei ineinandergreifenden Prozessen des Umbruchs zu tun: einem geopolitischen Übergang, der das Ende der westlichen Hegemonie einläutet, einem inneren Zerfall der ökonomischen, politischen und weltanschaulichen Fundamente westlicher Gesellschaften und einem sich anbahnenden Kollaps des bisherigen Gleichgewichts des Erdsystems.« Seine Mahnung lässt eigentlich nur die Schlussfolgerung zu: So kann es nicht weitergehen. Oder, um mit Rosa Luxemburg zu sprechen: »Sozialismus oder Barbarei«!

Fabian Scheidler: Friedenstüchtig. Wie wir aufhören können, unsere Feinde selbst zu schaffen. Promedia, 224 S., geb., 20 €.
Von unserem Rezensenten erschien im September »Der Ukraine-Krieg. Die Wurzeln, die Akteure und die Rolle der Nato« (Edition Ost, 348 S., geb., 32 €).

Allein schon der Titel dieses Bandes ist sympathisch: »Friedenstüchtig«. Ein klares Bekenntnis wider das inflationär gebrauchte und Hirne vernebelnde Wort der »Kriegstüchtigkeit«.

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