Kein günstiges Klima für Genf

Vor erneuten Syrien-Gesprächen Fragezeichen über der russisch-türkischen Abmachung

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie ist die Verhandlungsbereitschaft? Was hat sich möglicherweise verändert seit der erstmaligen russisch-türkischen Absprache in der Syrien-Frage zu Jahresbeginn? Der UN-Chefunterhändler in Sachen Syrien-Krieg, Staffan de Mistura, mochte wohl keine Überraschungen erleben, und hat deshalb, ehe es in Genf losgeht, noch einmal in Ankara und Moskau vorgesprochen.

Was in der kasachischen Hauptstadt Astana vor exakt zwei Monaten auf informelle Weise zu Syrien verabredet worden war, soll nun in Genf in die aktive Phase gehen. Damals hatten Russland und die Türkei - mit Iran als Drittem im Bunde - mit einer Initiative aufgewartet, die geeignet schien, den Krieg sechs Jahre nach seinem Ausbruch wenigstens nennenswert einzudämmen. Seitdem ist in und um Syrien einiges geschehen, was einer zielführenden Konferenzatmosphäre abträglich war.

Kernpunkt der russisch-türkischen Absprache war ein Waffenstillstand zwischen der Regierungsarmee und den mit ihr verbündeten Kräften einerseits und einer Anzahl regierungsfeindlicher Gruppierungen andererseits. Letztere erfreuten sich bisher, ohne dass das offiziell ausgesprochen worden wäre, des Wohlwollens der Türkei als sicheres Hinterland.

Die Abmachung hat trotz ständiger Verstöße im wesentlichen bis heute gehalten. Jedenfalls hat keine Seite sie für gescheitert erklärt. Die Querschüsse sind dennoch nicht zu überhören gewesen. So haben Regierungsgegner im Osten von Damaskus versucht, der Hauptstadt die Trinkwasserzuflüsse zu sperren. Luftangriffe auf Rebellengebiete waren die Folge. Auch derzeit gibt es wieder heftige Kämpfe östlich der Hauptstadt bis in die Peripherie hinein, wo sich eine Enklave der Regierungsgegner befindet. Dass sie gerade jetzt, unmittelbar vor Genf, eskalierten, ist sicher nicht zufällig. Der russische Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete die Kämpfe am Mittwoch als eindeutiges Störmanöver gegen Genf, das von den Regierungsgegnern ausgeht.

Die entscheidende Frage ist: Werden die Rebellenvertreter die Abgesandten der Regierung als legitime Verhandlungspartner akzeptieren und demzufolge auch mit ihnen reden? Bisher taten sie das nicht. De Mistura und seine Leute hatten sich stets, auch noch im Januar in Astana, als Briefträger zwischen verschiedenen Konferenzsälen zu betätigen - eine abstruse Art politischen Fernschachs. Die gleiche Anforderung gilt für die syrische Regierungsseite.

Ohne die Anerkennung einer Koexistenz wird nicht nur eine Stabuilisierung der Waffenruhe nicht zu machen sein, schon gar nicht die gewaltigen Anforderungen, die die Tagesordnung de Misturas bereithält. Bei den Gesprächen soll es schließlich um eine Regierung der nationalen Einheit, eine neue Verfassung und Wahlen gehen. Stellen die Rebellenabgesandten allerdings ihre alte Forderung wieder auf, dass zunächst der syrische Präsident Baschar al-Assad zurücktreten müsse, dürfte auch diese Gesprächsrunde als gescheitert anzusehen sein.

Bisher aber deutet nichts auf einen Paradigmenwechsel in dieser Frage hin. Es fehlen auch eindeutige Zeichen der türkischen Führung, ihre »Schützlinge« zur Anerkennung des Status quo zu bewegen. Russland äußert sich dazu nicht offiziell, macht aber an anderer Stelle Druck auf Ankara: Es heißt, dass Moskau mit den kurdisch-syrischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) im Landesnorden an der Grenze zur Türkei ein Ausbildungsabkommen abgeschlossen habe. Die Vereinbarung sehe die Schulung kurdischer Kämpfer in »moderner Militärtaktik« vor, erklärte ein Sprecher der YPG. Es ist das erste Abkommen Russlands dieser Art mit einer Kurdenmiliz in Syrien - für Ankara, das die YPG als Terroristen einstuft, ein Backenstreich. Und damit kein Rückenwind für Genf.

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