Die Abgeklärte, der Zaunzieher …

Michael Köhlmeier und Monika Helfer sagen: »Der Mensch ist verschieden«

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 5 Min.

Es ist eine Binsenwahrheit, und zunächst klingt der Buchtitel wie eine Beschwichtigung, aber es steckt auch eine Absage dahinter, was naive Vorstellungen von Gleichheit betrifft. Dass die Leute eben unterschiedlich seien, das entgegnet man dir, wenn du dich über jemanden aufgeregt hast. Wenn du erbost bist, weil ihre, seine Art dich nervte, ankratzte, gar verletzte. Diese Arroganz! Dieses Geschwätz! Oder diese Antriebslosigkeit! Dieser poltrige Ton! Oder dieses Über-alles-Erhabensein!

Da wollen die beiden Autoren, dass wir öfter die Achseln zucken: Die oder der ist nun mal so, da wirst du nichts ändern. Ob eine Aussprache hilft? Oberflächlich und für eine gewisse Zeit vielleicht. Aber wahrscheinlich wird es beim Gegenüber zu Verletzungen kommen. Er, sie wird kaum verstehen und nichts ändern können. So wie man sich ja auch selber ganz normal fühlt, angenommen sein möchte, wie man ist. Man kann nicht aus seiner Haut. Was soll die Kritik?

Michael Köhlmeier und Monika Helfer, zwei österreichische Autoren, erfolgreich jeder auf seine Weise, sind seit Langem ein Ehepaar, und sie geben uns auch nicht preis, wer welchen Text im Buch geschrieben hat. Vielleicht wurde der Buchtitel sogar aus einer Auseinandersetzung geboren. »Der Mensch ist verschieden« als Erwiderung auf das Ansinnen, sich nach den Vorstellungen des Partners ändern zu müssen. Schriftsteller können das in ein lustvolles Spiel verwandeln. Denn die versprochenen »dreiunddreißig Charaktere« sind einerseits zwar von der Wirklichkeit abgeschaut, andererseits aber auch lachend erfunden, so wie die Affen am Schluss. Ein »bunt schillerndes Kaleidoskop der Menschlichkeiten« verspricht der Verlag und fragt im Klappentext, wie man sich selber einordnen würde. Aber ein Klassifizierungsbuch ist es nun gerade nicht. Nicht Psychologen-, sondern Dichterwerk, das auch vom Unerwarteten lebt.

Da ist die »Auseinandersetzerin« eben nicht etwa eine Streitlustige, auf ihrer Meinung Beharrende, nein, ihr Problem sind nicht die Menschen, sondern die Dinge, die sich ihr mitunter widersetzen. Gerade sortiert sie die Schmutzwäsche in »weiß kochecht, bunt heiß und empfindlich bunt«, da nebelt geschmolzene Plastik die Küche ein. Die Haarbürste auf der Herdplatte: Hat die Tochter sie etwa dorthin getan? Mitnichten. »Niemand hatte die Haarbürste verlegt. Sie war erst vor kurzem von einer Reise zurückgekommen. Sie hatte das Haus verlassen. Sie hatte sich hier nicht mehr wohlgefühlt. Der Kamm, ihr einziger Freund, hatte gesagt, sie bilde sich das alles nur ein, sie aber hatte selbst gehört, wie die Seife über sie geredet hatte - diese Niederträchtigkeiten, diese Verleumdungen.« Und dann folgt eine Geschichte, die an die »Bremer Stadtmusikanten« erinnert. Von all dem ahnt die »Auseinandersetzerin« nichts, so wie wir nicht wissen, welche Kämpfe sie mit sich und anderen auszufechten hat. Sie glaubt, ein Chaos bändigen zu müssen. Das wabert aber nicht nur um sie herum, es ist auch in ihr selbst …

Aber das ist jetzt meine Deutung, so wie jede der kurzen Geschichten nach eigenen Überlegungen ruft. »Der Gewohnheitsmensch« scheint ein recht langweiliges, aber auch glückliches Leben zu haben. »Der Langanhaltend-Traurige« (wer hätte das gedacht) genießt diesen Zustand sogar. »Die Feinste von den Feinen« wird bis an ihr Ende allein bleiben, die »Liebessüchtige« im Alter wie eine gebrechliche Jugendliche erscheinen. »Der Nimmersatte kauft tatsächlich zum elften Mal den gleichen Gegenstand, den er bereits zehnmal gekauft hat.« Gibt es das? Haben Sie schon mal in Wirklichkeit einen »Vampirgewordenen« erlebt? Nun ja, die »Eingebildet-Vergessliche« hat einfach eine Zwangsstörung.

Wenn man beim Lesen unwillkürlich ins Selber-Klassifizieren und Vergleichen kommt, nimmt man dem Buch freilich etwas von seiner möglichen Wirkung. Sollte man sich in einem der »dreiunddreißig Charaktere« wiedererkennen, wird das höchstens für einen Moment sein, denn die Eigenschaften vermischen sich doch. Getreu dem Buchtitel »Wer bin ich - und wenn ja wie viele?« von Richard David Precht ist alles vielschichtiger, verwickelter.

Mühelos fallen einem noch viele andere Charaktere ein. Aber das Buch ist ja, wie gesagt, auch ein Spiel. Da werfen sich zwei die Bälle zu und freuen sich an ihren Einfällen. Manchmal steigern sie sich in beißenden Spott, dann wieder gefallen sie sich im Fabulieren. In kunstvoller Hintergründigkeit: »Der Spiegel an sich ist ohne Rätsel, sein Bild aber ist die Gewalt einer aufgebrochenen Frage.« »Der-im-Spiegel fühlte wie einer, der vor dem Erschießungskommando weggelaufen war und sich nun schämte. Schloss er die Augen und dachte über sein Antlitz nach, dann glaubte er sich schön. Öffnete er aber die Augen …«

So wird es vielen gehen. Manches kann man wiedererkennen, und doch spürt man im Hintergrund etwas Trotziges, was verbreitete Meinungen betrifft. »Der Mensch ist verschieden« - in sich selber schon. Alle Menschen seien gleich? Das könnte euch gefallen, aber so ist es nicht. »Die Kraftlos-Begabte« und die »Abgeklärte« leben in ihren eigenen Welten, und das hat nur sehr bedingt etwas mit Soziologie und Politik zu tun. Also Abgrenzung? Im Gegenteil! Jeder nach seinen Möglichkeiten, man muss es akzeptieren.

»Das Zaunziehen soll die Vermischungsfreude der Natur hemmen.« Und der »Zaunzieher« ist einer, der sich auf seine Weise schützen will. Wer möchte sich denn eigentlich nicht schützen? Frag dich selbst: Wovor hast du Angst? Und schau die anderen an, wie sie verleugnen oder kämpfen, sich ergeben oder sich in starre Überzeugungen flüchten. Aber was dir da seltsam, gar irrig erscheint, wogegen du dich vielleicht sogar zur Wehr setzen möchtest, es hat doch Gründe, die dir verständlich werden könnten, wenn du dich bemühst.

Michael Köhlmeier/Monika Helfer: Der Mensch ist verschieden. Dreiunddreißig Charaktere. Haymon Verlag. 105 S., geb., 17,90 €.

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