Geschäfte mit dem Tod

Fast die Hälfte der Krematorien in Deutschland arbeiten inzwischen privatwirtschaftlich

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Große Schriftsteller, begnadete Mimen, populäre Musiker, Theaterintendanten, Verfassungsrichterinnen, Tatortkommissare, frühere Bundespräsidenten - in keinem Jahr zuvor, so mochte es für manchen scheinen, segneten mehr prominente Deutsche das Zeitliche als 2016. Doch auch in absoluten Zahlen gemessen, gab es zwischen Nordsee und Alpen wieder mehr Todesfälle als in vielen Jahren zuvor. Für 2016 fehlt noch die Statistik, doch jene 925 200 Bundesbürger, die allein 2015 zu Grabe getragen wurden, bedeuteten einen sehr deutlichen Sprung gegenüber dem Jahr zuvor. Das erste Mal seit 1991 überstieg in der latent alternden Gesellschaft diese Zahl wieder die Marke von 900 000.

Unter kapitalistischen Bedingungen ergibt sich daraus ein lukrativer Markt. Rainer Wirz, der Chef der kommunalen Friedhöfe in Hamburg, sieht durch die »entstandene bürgerlich-aufgeklärte Form von Rationalität im Umgang mit Tod und Trauer« den »Umgang hiermit zu einer gefühllosen Routine erstarrt«. Ob Krankenhäuser, Pflegeheime, Friedhofsbürokratie oder Bestattungsfirmen - alle hätten »den Tod unter sich aufgeteilt und private Bestattungsunternehmen und Krematorien zu einem Dienstleistungsgeschäft gemacht«, sagt Wirz. Und wie auf allen Märkten gibt es auch auf jenem, der den Tod ausbeutet, einen Marktführer - zumindest unter den Krematorien, die vor allem für den privaten Gewinn ihrer Besitzer arbeiten. Es ist das Rhein-Taunus-Krematorium in Dachsenhausen bei Koblenz, wo jährlich über 30 000 im wahrsten Wortsinn teure Tote feuerbestattet werden. Ebenfalls in Rheinland-Pfalz, konkret in Landau bei Kaiserslautern, eröffnete übrigens das überhaupt erste rein privatwirtschaftlich betriebene Krematorium der Republik.

Erst 20 Jahre ist das her, doch seitdem veränderte sich die deutsche Feuerbestattungslandschaft stark. Von den 159 Krematorien arbeiten inzwischen 72 als Kapitalgesellschaften. Lediglich 87 Krematorien werden also noch kommunal geführt, so wie jenes im thüringischen Gotha, das 1878 als erstes im deutschsprachigen Raum auf dem dortigen städtischen Hauptfriedhof entstand. Der Bau galt seinerzeit als liberal, ja fortschrittlich. Denn anders als in den meisten deutschen Kleinstaaten verdammte dort der Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha die als ebenso modern wie gottlos geltende Feuerbestattung nicht.

Inzwischen ist die Gothaer Beisetzungsstätte denkmalgerecht restauriert, doch die privaten Krematorien werben längst wesentlich zeitgemäßer mit ihren Vorzügen. In Landau empfiehlt man sich etwa damit, »eine ausgereifte Technik, einen reibungslosen Service und eine ausgeprägte Kundenorientierung zu einem marktgerechten Gesamtkonzept« zu verbinden.

Und obwohl sich seit 1997 der Anteil der Einäscherungen an allen deutschen Bestattungen von knapp 40 auf über 60 Prozent erhöhte, sei »dieser Markt hart umkämpft«, beobachtet Christoph Keldenich. Vor allem sorgt den Geschäftsführer der Verbraucherinitiative Bestattungskultur Aeternitas e.V. in Königswinter, dass selbst Großstädte wie Frankfurt am Main und Krefeld inzwischen ihre städtischen Krematorien schlossen. »Denn nötige Sanierungen waren nicht zu finanzieren, auch weil durch die private Konkurrenz die Zahl der Einäscherungen massiv zurückging«, berichtet er. Manche Städte - wie Saalfeld in Thüringen - hätten ihre Anlagen deshalb gleich an Privatbetreiber übertragen, Braunschweig beispielsweise an eine Gruppe Bestatter. Auch das schwäbische Göppingen und selbst die NRW-Metropole Köln fahnden laut Keldenich derzeit nach privaten Investoren für ihr Krematorium. Andere wiederum wandelten es in einen Eigenbetrieb oder eine kommunale GmbH um, teils mit privater Beteiligung.

Doch Druck kommt auch von außen. Da Hinterbliebene die Asche ihrer Lieben laut deutschem Bestattungsrecht nicht mit nach Hause tragen dürfen, sondern die Urne in Deutschland sofort auf den Friedhof wandert, wird immer häufiger in die Niederlande oder die Schweiz ausgewichen. Die Angehörigen lassen ihre Verstobenen in dortigen Krematorien verbrennen und erhalten - da dort kein deutsches Recht greift - die sterblichen Überreste dann auch persönlich ausgehändigt.

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